Codex Alera 06: Der erste Fürst
Fluggewand aus blauem und grauem Leder gehüllt. Die Kleider brachten recht bewundernswert ihre schlanke Gestalt zur Geltung, die weitaus muskulöser war als die eines durchschnittlichen aleranischen Mädchens. Ihre schrägstehenden Augen waren leuchtend grün wie Tavis eigene, und sie funkelten nun und blickten hart.
»Aleraner!«, blaffte sie, so dass ihre Stimme von den gefrorenen Wänden widerhallte. Ihr Zorn war etwas Greifbares, ein Feuer, das Tavi im Bauch spüren konnte.
Er zuckte zusammen.
Kitai marschierte zu ihm herüber und stemmte sich die Fäuste in die Hüften. »Ich habe mit Tribunin Cymnea gesprochen. Sie hat mir mitgeteilt, dass du mich wie eine Hure behandelt hast.«
Tavi blinzelte. Mehrfach. »Äh … Was?«
»Wage es ja nicht, den Unschuldigen zu spielen, Aleraner«, stieß Kitai hervor. »Wenn irgendjemand das wissen kann, dann Cymnea.«
Tavi rang darum, Kitais Aussage zu verstehen. Cymnea war die Tribunin Logistica der Ersten Aleranischen Legion – aber bevor die Umstände und ein Notfall sie gezwungen hatten, Tribunin Cymnea zu werden, war sie Domina Cymnea gewesen, die Besitzerin des Pavillons, des besten Freudenhauses im Tross der Legion.
»Kitai«, sagte Tavi, »ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Ah!«, sagte sie und warf die Hände in die Luft. »Wie kann ein so brillanter Befehlshaber ein solcher Dummkopf sein?« Sie wandte sich an Alera, wies anklagend mit dem Finger auf Tavi und sagte: »Erklär es ihm.«
»Ich habe den Eindruck, dass ich dazu kaum die nötigen Voraussetzungen mitbringe«, antwortete Alera ruhig.
Kitai wandte sich wieder Tavi zu. »Cymnea hat mir gesagt, es ist bei deinem Volk Sitte, dass diejenigen, die einander heiraten wollen, nicht miteinander schlafen, bevor sie ihr Ehegelübde ablegen. Das ist ein lächerlicher Brauch, aber er entspricht nun einmal den Sitten der Civitas.«
Tavi warf einen Blick auf Alera und spürte, wie seine Wangen ein wenig warm wurden. »Äh … Nun ja, das ist die schickliche Art, aber das ist nicht, was alle immer unbedingt tun …«
»Sie hat mich darüber in Kenntnis gesetzt«, fuhr Kitai fort, »dass Männer deines Standes gewöhnlich nur zum Vergnügen mit Kurtisanen das Bett teilen – und diese Spielereien aufgeben, sobald sie eine richtige Ehefrau gefunden haben.«
»Ich … Manche junge Cives tun das, ja, aber …«
»Wir sind seit Jahren zusammen«, sagte Kitai. »Wir haben tagtäglich das Bett geteilt und einander befriedigt. Seit Jahren . Und so langsam wirst du ja auch endlich etwas geschickter.«
Tavi hatte den Eindruck, dass seine Wangen wahrhaftig in Flammen aufgehen könnten. » Kitai !«
»Mir ist gesagt worden, dass die Tatsache, dass wir schon so lange zusammen sind, zum Quell von viel Spott und Empörung unter den Cives von Alera werden wird. Dass sie mich allesamt als die Hure des Princeps betrachten werden.« Sie sah finster drein. »Und aus irgendeinem seltsamen Grunde gilt das als etwas sehr Schlimmes.«
»Kitai, du bist keine …«
»So lasse ich mich nicht behandeln«, knurrte sie. »Du Narr! Du stehst schon vor genug Schwierigkeiten bei der Übernahme der Krone, ohne deinen Feinden in der Civitas solch eine offensichtliche Blöße zu bieten, die sie ausnutzen können. Wie kannst du es wagen, mich zu dem Werkzeug werden zu lassen, mit dem man dir schadet?«
Tavi starrte sie nur hilflos an.
Der Zorn wich aus ihrer Miene. »Natürlich«, sagte sie mit sehr leiser Stimme, »setzt das alles voraus, dass du willst, dass ich deine Frau werde.«
»Wirklich, Kitai, ich habe … Ich habe bisher noch nicht einmal darüber nachgedacht.«
Ihre Augen weiteten sich, und sie riss den Mund in einem Ausdruck, der fast wie Entsetzen wirkte, auf. »Das … das hast du nicht?« Sie schluckte. »Du willst eine andere nehmen?«
Tavi spürte, wie er selbst die Augen aufriss. »Nein. Nein, bei den Krähen, nein, Kitai. Ich habe nicht darüber nachgedacht, weil ich nie damit gerechnet hätte, dass es auf irgendeine andere Weise enden könnte. Ich meine, mir hat sich noch nicht einmal die Frage gestellt, Chala .«
Einen Augenblick lang wich ihre Unsicherheit Erleichterung, aber dann machte dieser Ausdruck seinerseits einem anderen Platz. Kitai kniff die Augen gefährlich zusammen. »Du bist einfach davon ausgegangen, dass ich zustimmen würde.«
Tavi zuckte zusammen. Schon wieder.
»Du hast angenommen, dass ich keine andere Wahl haben würde. Dass ich so verzweifelt bin, dass ich gezwungen sein
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