Codex Alera 06: Der erste Fürst
übersiehst das Entscheidende.«
»Dann solltest du mir vielleicht erklären, was es ist.«
»Das Entscheidende ist, dass Fragen wie die, mit wem der Princeps schläft, eine Rolle spielen «, antwortete Tavis Freund. »Rivalen, die Anspruch auf die Krone erheben konnten, haben schon Kriege ausgelöst, Tavi, und Schlimmeres. Verfluchte Krähen, wenn der alte Sextus ein, zwei Bastarde in Alera hinterlassen hätte, dann wissen allein die großen Elementare, was hätte geschehen können, nachdem dein Vater ermordet worden war.«
»Das gebe ich zu«, sagte Tavi. »Es spielt eine Rolle. Aber ich warte immer noch auf das Entscheidende.«
»Das Entscheidende ist, dass das Reich bis zum letzten Jahr nicht wusste, dass du Septimus’ Sohn bist – und selbst zu dem Zeitpunkt warst du weit draußen in der Provinz auf einem Feldzug. Du hast nicht gerade viele Besucher angelockt.«
»Nein.«
»Wenn wir nach Hause zurückkehren, wird sich das ändern«, sagte Max. »Alle werden dich wie die Falken belauern. Sie werden in deinem Leben auf jede Weise, die du dir nur vorstellen kannst, herumstochern, und wahrscheinlich auch auf einige, die du dir nicht vorstellen kannst – und jeder Civis mit einer Tochter, die auch nur im Entferntesten im passenden Alter ist, wird hoffen, dass er sie zur nächsten Ersten Fürstin machen kann.«
Tavi runzelte die Stirn.
»Du willst Kitai heiraten«, sagte Max. Es war keine Frage.
Tavi nickte.
»Dann wirst du viele Leute vor den Kopf stoßen. Und sie werden jede noch so kleine Einzelheit aufstöbern, die sie gegen sie verwenden können. Dann werden sie versuchen, auf jede nur mögliche Weise Druck auf sie auszuüben – und wenn du einfach so mit ihr weitermachst wie bisher, dann wirst du es ihnen leicht machen, Unterstützung gegen dich zusammenzutrommeln.«
»Es ist mir wirklich nicht wichtig, was sie denken, Max«, sagte Tavi.
»Sei kein Narr«, antwortete sein Freund müde. »Du sollst Erster Fürst von Alera werden. Du musst eine Nation voller mächtiger Cives führen, deren Interessen sich widersprechen. Wenn du nicht genügend Unterstützung aufbauen kannst, um diese Führungsrolle zu übernehmen, werden darunter viele Menschen zu leiden haben. Du wirst versuchen, der Festung eines Grafen, die von einer Sturmflut verwüstet worden ist, Hilfe zu senden, aber dann herausfinden, dass der Senat das Vorhaben abgeschmettert hat oder dass es irgendwo bei der Nachrichtenübermittlung oder in der Finanzkette abgewürgt wurde. Du wirst Urteile in Streitigkeiten fällen, die Fürsten und Hohe Fürsten vor dich bringen, und dann herausfinden, dass beide Seiten es darauf abgesehen hatten, dich schlecht aussehen zu lassen, ganz gleich, was du tust – und am Ende wird jemand, weil das an der ganzen Sache das Entscheidende wäre, versuchen, dir die Krone zu nehmen.«
Tavi rieb sich das Kinn und musterte Max. Die Worte seines Freundes waren … eigentlich nicht das, was er von ihm erwartet hätte. Max verfügte über einen hervorragenden Instinkt, wenn es darum ging, taktische und strategische Situationen zu analysieren, eine Begabung, die er im Zuge seiner Ausbildung an der Akademie verfeinert und weiter ausgebaut hatte, aber diese Gedankengänge passten nicht zu seinem alten Freund.
Tavi holte tief Atem. Er durchschaute die Sache. »Kitai ist zu dir gekommen, um mit dir darüber zu reden.«
»Vor ein paar Wochen«, sagte Max.
Tavi schüttelte den Kopf. »Verfluchte Krähen.«
»Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird«, sagte Max. »Deine Werbung um sie halb öffentlich zu machen, meine ich.«
»Glaubst du, es könnte funktionieren?«
Max zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, dass es den Leuten, die dich wirklich unterstützen, helfen könnte, um jedem entgegenzutreten, der Kitai benutzt, um Widerstand gegen dich zusammenzutrommeln. Wenn du sie mit demselben Taktgefühl umwirbst, das man bei einer jungen Aleranerin, die eine hohe Stellung in der Civitas innehat, voraussetzen würde, dann verleiht ihr das zugleich einen gewissen Status.« Er runzelte die Stirn. »Und außerdem …«
Tavi spürte, dass sein Freund plötzlich zögerte weiterzusprechen. Er schüttelte den Kopf, als er bemerkte, wie ein kleines Lächeln müde in seinen Mundwinkeln zuckte. »Max«, sagte er leise, »sprich es einfach aus.«
»Verfluchte Krähen, Calderon«, seufzte Maximus. »Ich bin derjenige, der Mädchen wie austauschbare Vergnügungen behandelt. Du warst schon immer der Schlauere von uns beiden.
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