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Codex Alera 06: Der erste Fürst

Codex Alera 06: Der erste Fürst

Titel: Codex Alera 06: Der erste Fürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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dem Boden hervorzuwirken. Also biss er die Zähne zusammen und konzentrierte sich darauf, Windmähnen aus dem Weg zu schlagen.
    Lautes Dröhnen erschütterte zweimal die Luft um sie herum – Garados brüllte vor Enttäuschung oder aus schierem Zorn oder aus irgendeinem Gefühl heraus, das kurzlebigen Wesen wie Tavi und Kitai vollkommen fremd war. Vielleicht konnte er Alera später danach fragen. Wenn er noch dazu kam. Der Arm des großen Elementars fegte vorbei, diesmal in weit größerer Entfernung. Kiefern richteten sich auf seinen Unterarmen auf wie Haare bei einem Sterblichen und standen auch ungefähr im selben Größenverhältnis zu ihm. Regen begann schwer und kalt zu fallen.
    Kitai und Tavi flogen an dem verzerrten Bauch und der Brust des großen Elementars entlang nach oben, ohne die Vordkönigin zu sehen – aber als sie auf Höhe von Garados’ Schultern waren, gerieten sie in schwere Gewitterwolken. Dichter grauer Dunst legte sich über sie, und Blitze zuckten durch die Dunkelheit. Der Wind frischte auf und heulte, erstarb dann aber unverhofft zu einem Raunen. Doch als sie weiterflogen, war Tavi sich sicher, dass er in diesem Flüstern eine richtige Stimme hören konnte – eine, die Qual, Schmerz und Tod verhieß.
    Wieder ertönte gewaltiger Lärm – und schlagartig stand der große Elementar vollkommen still. Die Veränderung war verblüffend. Fels knirschte nicht länger über Fels. Tonnen und Abertonnen von Erde und Stein hörten zu grollen auf, und nur das Geräusch einiger fallender Steine, die zu Boden polterten, blieb zurück. Beinahe gleichzeitig erstarb der heulende Wind in den Gewitterwolken. Die Luft wurde ruhig, bis sich nur noch Tavi, Kitai und die Regentropfen bewegten. Die flackernden Blitze begannen seltener zu werden, und die Farben veränderten sich von jeder erdenklichen wilden Schattierung zu einem einzigen Ton: Grün.
    Vordgrün.
    »Aleraner?«, rief Kitai und sah sich hektisch um.
    »Verfluchte Krähen«, flüsterte Tavi. Er wandte sich Kitai zu und sagte: »Sie versucht, sie zu übernehmen. Die Vordkönigin versucht, von Garados und Thana Besitz zu ergreifen.«
    »Ist das möglich?«
    »Dir oder mir?« Tavi schüttelte den Kopf. »Aber Alera hat mir erzählt, dass ihre Macht auf breiterer Grundlage steht als unsere. Vielleicht. Und wenn ihr das gelingt …«
    Kitais Gesicht wurde grimmig. »Wenn die Königin zwei große Elementare für sich gewinnt, spielt es keine Rolle mehr, wer übrig bleibt, um gegen sie zu kämpfen.« Sie musterte Tavi. »Und du hast sie zu ihnen geführt.«
    Er sah sie finster an und sagte: »Ja.«
    Sie flogen beide schneller.
    »Und du hast sie überhaupt erst geweckt.«
    Tavi biss die Zähne zusammen. »Ja.«
    »Ich wollte mich ja nur vergewissern, dass ich richtig verstanden hatte, wie die Dinge stehen.«
    Tavi unterdrückte ein Seufzen, beachtete seine wachsende Müdigkeit nicht länger und drängte noch erbitterter vorwärts, bis das Rauschen ihrer Windströme jedes Gespräch unmöglich machte.
    Sie fanden die Vordkönigin auf der frostüberzogenen Oberseite von Garados’ Kopf. Sie stand einfach da, halb verbrannt und halb nackt, den Kopf geneigt und die Hände leicht ausgebreitet. Über ihr befand sich etwas, das wie ein regloser Strudel aussah, in dem schreckliche Winde Eis- und Schneekristalle zu einer glitzernden Spirale hochgerissen hatten.
    Die Vordkönigin öffnete die Augen, als sie in ihr Gesichtsfeld kamen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das nicht mehr wie ein nachgeäffter Gesichtsausdruck wirkte. Es enthielt so viel Bitterkeit, Hass und boshafte Heiterkeit, wie Tavi sie nur je bei irgendjemandem gesehen hatte.
    »Vater«, sagte die Königin, »Mutter.«
    Kitais Rückgrat versteifte sich leicht, aber sie sagte nichts. Gleichzeitig mit Tavi setzte sie auf dem felsigen Boden vor der Königin auf. Die drei bildeten die Punkte eines gleichschenkligen Dreiecks.
    Mehrere Sekunden lang herrschte gespenstische Stille. Schwere, kalte Regentropfen fielen auf Stein. Ihr Atem wurde zu dampfendem Nebel, wenn sie ihn ausstießen.
    »Ihr seid hier, um mich zu töten«, sagte die Vordkönigin, immer noch lächelnd. »Aber das könnt ihr nicht. Ihr habt es versucht. Und bald wird es auch keine Rolle mehr spielen, was für Kräfte ihr vielleicht …«
    »Sie schindet Zeit«, sagte Tavi und griff nach seinem Windwirken, um seine Bewegungen zu beschleunigen. Seine eigene Stimme klang seltsam gedehnt und verlangsamt, als er weitersprach.

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