Codex Alera 06: Der erste Fürst
schon an und für sich ein Siegesbanner.
Bernard sah zwischen den beiden hin und her und nickte mit leuchtenden Augen. »Warum fliegst du nicht mit ihr nach Kaserna zurück? Ich führe Ajax, und wir treffen uns in meinem Schreibzimmer mit Sana.«
Amara sah ihren Mann an und gab ihm einen langen, sanften Kuss auf den Mund. Dann schritt sie auf Mascha zu und zog sich im Gehen die ledernen Flughandschuhe über. Das kleine Mädchen bemerkte es und jubelte.
Amara sann über die Worte ihres Mannes nach und schürzte nachdenklich die Lippen.
Vielleicht hat er ja Recht. Vielleicht summieren sich genug kleine Siege ja wirklich.
4
»Dann fällt ihr eben verdammt noch mal genug Bäume für euren Abschnitt«, brüllte Valiar Marcus. »Die verdammte Dilettantenlegion hat schon zwei Drittel ihrer Palisade aufgerichtet, und ihr Narren sitzt hier herum und jammert, weil ihr eure Lagerpalisaden in Canea zurücklassen musstet?« Er schritt die Reihe schwer arbeitender Legionares ab und schlug mit seinem Stock auf Plattenpanzer und den ein oder anderen faulen Schädel. Nach der langen, untätigen Zeit an Bord der Schiffe fehlte es in bedauerlichem Maße an Disziplin, und die Männer waren das Gewicht ihrer Rüstungen nicht mehr gewohnt. »Wenn die Freie Aleranische ihr Lager aufgeschlagen hat, bevor wir fertig sind, dann mögen die Großen Elementare euch erbärmlichen Dreckskerlen gnädig sein. Dann werdet ihr nämlich weinend bei den Vord Unterschlupf suchen, wenn ich mit euch fertig bin!«
Marcus setzte seine inhaltlich im Groben gleichbleibende Strafpredigt fort, während er am Lagerplatz, den die Erste Aleranische am Ufer ausgewählt hatte, auf und ab marschierte. Sie hielten zwei benachbarte Hügelkuppen, alte, abgerundete Bergstümpfe, die mit Dornbüschen bewachsen waren. Das breite Tal dazwischen war für die Canim bestimmt, die sich mit Feuereifer darangemacht hatten, ihr eigenes Lager aufzuschlagen. Die riesigen, nichtmenschlichen Krieger waren gut mit Werkzeug ausgerüstet, und wenn ihnen auch die Fähigkeiten der Aleraner im Elementarwirken fehlten, glichen sie den Unterschied durch schiere Körperkraft mehr als aus – und durch ihre Überzahl.
Marcus blieb stehen, um ins Tal hinabzustarren. Verfluchte Krähen, da unten waren wirklich viele Canim, noch dazu alles Kämpfer. Varg wollte nicht riskieren, die Zivilisten an Land zu bringen, bis nicht zumindest einfache Schutzwälle errichtet waren. Marcus konnte ihm das kaum verdenken. Wenn er mit den letzten Überlebenden von ganz Alera in Canea gelandet wäre, hätte er sie auch nicht in offenem Gelände nur fünf Meilen von der kriegerischsten Stadt des Kontinents entfernt von Bord gehen lassen.
Von der Hügelkuppe aus konnte Marcus Richtung Norden nach Antillus hinüberblicken, auf die Ringe aus massivem, grau-weißem Stein, die sich auf den Gebeinen eines weiteren uralten Bergs übereinandertürmten. Im Nachmittagslicht glänzten die Steine beinahe bläulich, da sie die Farben des Himmels und des kalten Meers widerspiegelten. Ganz gleich, wem Antillus Raucus die Verantwortung für seine Heimatstadt übertragen hatte – wahrscheinlich einem seiner konservativsten, verlässlichsten alten Kumpane –, der Mann nagte wahrscheinlich in diesem Moment vor Bestürzung an seinen eigenen Eingeweiden.
Marcus nahm sich einen Moment Zeit, über die Lage des Canimlagers nachzudenken. Jede Streitmacht, die aus der Stadt heraus anrückte, würde an einem der aleranischen Lager vorbeimüssen, bevor sie die Wolfskrieger zum Kampf stellen konnten. Abgesehen davon war das Canimlager aufgrund der Anordnung der Lager von den Stadtmauern aus nicht zu sehen. Oh, ein kleines Geschwader Ritter Aeris war binnen Augenblicken nach ihrer Landung über sie hinweggeflogen, aber mit ein wenig Umsicht würde der Hüter von Antillus Stillschweigen bewahren und so eine Panik in der Zivilbevölkerung vermeiden können, bis sie Zeit hatten, alles zu regeln.
Darüber hinaus lagerten die beiden aleranischen Legionen – wenn die Narren denn endlich in guter Ordnung die Hügelkuppen sichern konnten – auf weit vorteilhafterem Boden als die Canim. Eine aleranische Legion in einer Verteidigungsstellung anzugreifen war ein Spiel, das man nur gewinnen konnte, wenn man gewillt war, einen höchst blutigen Preis zu zahlen. Doch die schiere Überzahl der Canim bedeutete, dass ein aleranischer Angriff auf sie ein genauso törichtes Vorhaben gewesen wäre. Und indem sie ihre Lager südlich der Stadt
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