Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
machen, das weißt du. Die Nazis haben Kunstschätze geraubt,wo immer sie hinkamen, viele von den kostbarsten Kunstwerken Europas. Hitler hat davon geträumt, ein gigantisches Kunstmuseum zu bauen, das er mit diesen geraubten Kunstwerken füllen wollte. Es sollte in Linz entstehen, du kennst die Geschichte. Im Vergleich zu solchem Größenwahnsinn ist der Codex Regius beinahe eine Lappalie.«
    »Es kann schon sein, dass ich das korrigieren will, was im Krieg schiefgelaufen ist, und das Buch wieder an seinen Platz stellen möchte, ohne dass alles an die große Glocke gehängt wird. Es kann gut sein, dass ich insofern stur bin, als ich die Dinge an ihrem Platz haben möchte, aber das lässt sich nun einmal nicht ändern.«
    »Ich verstehe bloß nicht, weshalb du dir solche Vorwürfe machst. Alle müssten doch Verständnis für die Situation aufbringen können, in der du dich befunden hast.«
    Der Professor holte tief Atem.
    »Du hast sicher irgendwelche Ausgaben der Edda gelesen«, sagte er.
    »Ja, natürlich«, antwortete ich.
    »Hast du darin irgendeine Lieblingspassage, einen Lieblingsabschnitt oder so etwas?«
    Ich überlegte. »Ich weiß nicht, ob ich da etwas Bestimmtes nennen kann«, sagte ich, denn ich interessierte mich eigentlich mehr für die Isländersagas, zögerte aber, das zuzugeben.
    »Ich habe eine besondere Vorliebe für das Atli-Lied «, sagte der Professor. »Dort findet sich die Quintessenz aller Heldendichtung und des Heldenmuts. Sie handeln von Männern, die über den Tod triumphieren. Gunnar und Högni, das sind meine Leute.«
    »Gunnar und Högni?«
    Der Professor lächelte:
    Da lachte Högni,
    als zum Herzen sie schnitten
    dem kühnen Kämpfer,
    ihm fiel nicht ein zu klagen.
    Blutig auf einer Schale
    brachten sie es Gunnar.
    Ich versuchte, mich an die tragischen Geschehnisse des Atli-Lieds zu erinnern, doch der Professor kam mir zuvor und erzählte mir die Geschichte, während das Auto stetig gen Norden rollte. Er sprach darüber, dass die meisten Heldengedichte in der Edda etwas mit dem Gold im Rhein zu tun hatten, das Sigurd der Drachentöter dem Drachen Fáfnir auf der Gnitterheide abgewonnen hatte. Den Hunnenkönig Atli gelüstete es nach dem Gold, das die Brüder Gunnar und Högni Sigurd abgenommen und im Rhein versenkt hatten. Atli lud sie zu einem Fest ein, und sie nahmen die Einladung trotz der Warnung treuer Freunde an; sie waren bereit, ihrem Schicksal unerschrocken ins Auge zu blicken, was immer es für sie bereithielt. Bei diesem Fest nahm Atli die beiden gefangen und verlangte von ihnen, ihm das Versteck des Goldes zu verraten, aber die Brüder weigerten sich, den Ort preiszugeben. Als Atli sie durch Foltern dazu zwingen wollte, bat Gunnar darum, ihm das Herz seines Bruders Högni zu bringen. Högni sah seinem Tod mit beispiellosem Heldenmut entgegen und lachte, als ihm das Herz bei lebendigem Leib herausgeschnitten wurde. Atli merkte nicht, in welche Falle er getappt war, denn damit war Gunnar der Einzige, der wusste, wo das Gold versteckt war. Er weigerte sich, Atli den Ort zu verraten, und wurde in die Schlangengrube geworfen, wo er die Harfe spielte, bis sein Leben erlosch. Atli hat nichts über das Gold herausfinden können.
    »Das ist das großartigste Lied in der Edda«, erklärte der Professor,»und es kann gut sein, dass ich mich davon beeinflussen ließ.«
    Er schwieg eine Weile.
    »Ich war entschlossen, nicht nachzugeben«, fuhr er dann fort. »Ich glaubte damals im Shell-Haus, ich sei bereit, meinem Tod ins Auge zu blicken, und ich wollte ihn mit offenen Armen empfangen. Aber es stellte sich heraus, dass ich ein Feigling war. Ich war nicht stark genug, als es darauf ankam. Und so wurde uns der Codex Regius geraubt. Im entscheidenden Augenblick hielt ich der Belastung nicht stand.«
    »Aber …«
    »So war es, und wir brauchen keine weiteren Worte darüber zu verlieren.«
    Dieses Bekenntnis verschlug mir die Sprache. Er hatte mir einen dieser seltenen Einblicke in seine Seele gegeben, in seine Auffassung der alten Heldengedichte, mit denen er sich identifizierte und in denen er das Vorbild für sein eigenes Leben sah. Er hatte versagt. Er hatte seine Helden verraten, er hatte den Codex Regius verraten, aber in allererster Linie sich selbst.
    »Ich hätte sie mir lieber das Herz herausschneiden lassen und über sie lachen sollen, als zu Kreuze zu kriechen«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
    »Ich war lange Zeit wie von Sinnen«, fuhr er nach

Weitere Kostenlose Bücher