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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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einen anständigen Mann getroffen hätte. »Es ist kein Spaß, eine alte Jungfer zu werden«, sagte sie lächelnd, und ich musste wieder einmal daran denken, wie verschieden die beiden Schwestern waren.
    »Vom Alkohol halte ich mich möglichst fern«, antwortete ich.
    »Das ist gut«, sagte sie.
    »Wie lange wirst du bleiben?«, fragte ich. »Ich meine, in Reykjavík.«
    »Wir sind erst vor ein paar Tagen in Keflavík gelandet«, sagte sie. »Gerald, mein neuer Mann, ist auf dem Weg nach Korea. Ich weiß kaum, wo das auf dem Globus liegt, aber dort ist Krieg, das weißt du sicher, nicht wahr? Das müsst ihr doch auch hier gehört haben. Die führen doch immer irgendwo Krieg, diese Amis.«
    Ich nickte.
    »Er soll da irgendeinen Büroposten übernehmen. Ach, ich weiß nicht … Erzähl mir lieber etwas über dich. Deine Tante hat gesagt, dass du fleißig studierst.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und am Ende wirst du vielleicht Professor?«
    Sie sagte das so, als fände sie das nichts Besonderes, und ich erinnere mich, dass ich überlegte, was für sie wohl etwas Besonderes war. Ich fragte sie aber nicht danach.
    »Ich überlege, ob ich mein Studium in Kopenhagen fortführen soll«, sagte ich.
    »Da war ich schon einmal«, erklärte sie.
    Und dann musste sie mir natürlich ausführlich berichten, wie es in Kopenhagen gewesen war: Sie erzählte mir Geschichten von Leuten, die ich gar nicht kannte, und von ihren Reisen in die vielen anderen Städte. Und Geschichten über sich selbst in Amerika. Mir wurde auf einmal klar, dass sie mich gar nicht besucht hatte, um etwas über mich zu erfahren. Meine Tante hatte Recht, wie immer. Meine Mutter dachte an niemand anderen als an sich selbst, und wenn sich das Gespräch nicht um sie drehte, langweilte sie sich. Nie hatte ich das so deutlich gemerkt wie da im Hotel Borg, als sie unentwegt über die Reisen redete, die sie mitihrem neuen Mann Gerald unternommen hatte, und darüber, was sie von der Welt gesehen hatte, den Eiffelturm und alles mögliche andere, was ich sofort wieder vergaß. Ich spürte schmerzhaft, dass ich keinerlei Verbindung zu dieser unbekannten Person hatte. An diesem seltsamen Nachmittag, als sie mich überraschend besuchte und sich einen Augenblick bemühte, Interesse für meine Angelegenheiten aufzubringen, kam ich mir vollkommen überflüssig vor.
    »Du bist aber schweigsam«, sagte sie, als der Kellner ihr einen weiteren Gin Tonic brachte.
    Ich fand nicht, dass ich höflich sein musste. Ich fand, dass ich dieser Frau gegenüber keine Verpflichtungen mehr besaß. Deswegen sagte ich es einfach geradeheraus, aber zuerst musste ich mich räuspern. Ich blickte mich im Restaurant um. Da war außer uns fast niemand.
    »Ich wollte dich schon lange nach etwas fragen«, sagte ich. »Wir haben irgendwann früher einmal darüber gesprochen – oder zumindest ich.«
    »Um was geht es, mein Liebling?«, fragte sie und trank einen Schluck. Vielleicht hatte sie schon einen kleinen Schwips.
    »Wer ist mein Vater?«, fragte ich ganz direkt.
    Sie stellte das Glas ab.
    »Haben wir nicht häufig genug darüber geredet?«, sagte sie.
    »Im Grunde genommen nicht«, entgegnete ich. »Du hast mir nie etwas darüber gesagt. Ich weiß nicht, wer es ist. Und meine Tante weiß es auch nicht.«
    »Mein Liebling«, sagte sie. Es hatte den Anschein, als wolle sie weiterreden, aber dann brach sie ab.
    »Ich habe dich bereits früher gefragt«, sagte ich. »Ich habe versucht, mit dir darüber zu sprechen.«
    Sie sah mich an. Ihr roter Lippenstift klebte am Glas, undjetzt holte sie ihr Kosmetiketui aus der Tasche und zog sich die Lippen nach.
    »Du klingst, als seist du böse auf deine Mutter«, sagte sie und betrachtete sich in einem kleinen Handspiegel.
    »Ich bin nicht böse«, sagte ich. »Aber weißt du es? Weißt du überhaupt, wer mein Vater ist?«
    Sie sah mich an, ohne zu antworten.
    »Oder spielt es überhaupt keine Rolle für dich?«, sagte ich und spürte Wut in mir aufsteigen.
    »Ich hätte mich vielleicht besser um dich kümmern sollen«, sagte sie und steckte ihr Kosmetiktäschchen wieder ein.
    »Du hast dich nie für mich interessiert«, sagte ich. »Du interessierst dich nur für dich selbst. Du hast nie etwas mit mir zu tun haben wollen, und ich habe mich schon seit langem damit abgefunden. Ich möchte bloß wissen, wer mein Vater ist, ob ich ihn treffen kann, ob er weiß, dass es mich gibt. Ich hätte gern gewusst, ob er weiß, dass ich sein Sohn bin.«
    Meine Mutter blickte

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