Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
ich.
»Nein.«
»Was können wir tun?«
»Wir können versuchen, mutig zu sein.«
»Mutig? Ich fürchte, ich bin kein sehr mutiger Mensch.« »Du bist mir zu Hilfe gekommen.«
»Sie wollten dir einen Finger abkneifen.«
»Trotzdem, du hast dich einfach auf sie gestürzt. Ich habe ja immer gesagt, dass du Mumm in den Knochen hast.«
»Mumm in den Knochen«, wiederholte ich verzweifelt.
»Denk an das Atli-Lied «, sagte der Professor.
»Das Atli-Lied ?«
»Denk an Gunnar und Högni. Wir sollten versuchen, so wie sie zu denken.«
Ich rief mir wieder die Geschichte von Gunnar und Högni ins Gedächtnis. Der Professor wollte, dass wir uns ein Beispiel an ihnen nehmen und Furchtlosigkeit zeigen sollten. Verlangte er wirklich von mir, dass ich meinem Tod mit einem Lächeln auf den Lippen entgegensah? War er bereit, mich in den Tod zu schicken? War er bereit, mich zu opfern?
»Du hast den Codex Regius also wieder«, sagte ich.
»Ja, ich habe das Buch wieder«, antwortete der Professor. »Das hättest du miterleben sollen, Valdemar. Sigmundur reist aus gutem Grund immer in derselben Kabine. Die falsche Wand war ganz einfach zu finden, und da befand sich der Codex. Zum ersten Mal seit zehn Jahren habe ich ihn wieder in der Hand gehalten, ein unbeschreibliches Gefühl. Er ist unbeschädigt. Er ist gut aufbewahrt worden. Er ist völlig in Ordnung. In all der Zeit ist er nicht zu Schaden gekommen. Es war, als hätte ich ihn erst gestern aus dem Regal geholt.«
Ich beglückwünschte ihn. Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Es war ihm endlich gelungen, den Codex Regius wiederzufinden. Ob er dieses Glück jemals würde auskosten können, stand auf einem anderen Blatt. Zum Schluss würde er ihn doch von Orlepp aushändigen müssen. Unsere Lage war einfach hoffnungslos.
»Valdemar, ich …«
Der Professor zögerte.
»Was?«
Er blieb stumm. Er schien mit sich zu ringen, ob es der richtige Zeitpunkt war oder ob er noch damit warten sollte, mir das zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag.
»Da ist noch etwas, was ich dir sagen muss, und ichmöchte es tun, bevor es zu spät ist. Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nein … Eigentlich nicht. Was ist mit deinem Finger?«
»Es geht schon. Es blutet nur noch ganz wenig.«
»Hat das nicht entsetzlich weh getan?«
»Doch, sehr.«
»Was wolltest du mir sagen?«
»Ich … Ich möchte dir danken. Ich möchte dir dafür danken, dass du mir in all diesen Bedrängnissen beigestanden hast.«
Seine Stimme klang ernst.
»Du brauchst mir für nichts zu danken«, sagte ich.
»Doch, Valdemar. Ich weiß, dass ich ziemlich rüde zu dir war, als du das erste Mal zu mir kamst. Ich hoffe, du kannst mir das verzeihen. Ich hätte dich freundlicher in Empfang nehmen sollen.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen.«
»Ich hätte vielleicht das Empfehlungsschreiben nicht zum Fenster hinauswerfen sollen.«
Ich musste ein wenig lächeln. »Es war ja kein so bedeutender Brief. Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Es …«
»Ja?«
»Es ist mir eine große Ehre gewesen, dich begleiten zu dürfen«, sagte ich.
Er schwieg.
»Eine ganz besondere Ehre«, sagte ich.
»Ich danke dir, Valdemar. Ich bin sehr froh, das zu hören. Du hast mir sehr geholfen, viel mehr, als ich je gedacht hätte.«
Wir schwiegen lange.
»Ich hoffe, du wirst dein Studium fortsetzen«, sagte er. »Ich hoffe, dass ich dich nicht davon abgebracht habe.«
»Nein, das hast du nicht getan.«
»Du kennst meine Auffassung«, sagte der Professor. »Es gibt nichts Wichtigeres als unsere mittelalterlichen Handschriften. Nichts! Das musst du begreifen und dich immer daran erinnern.«
»Das wird mir immer klarer.«
»Es wird deine Aufgabe sein, in Zukunft das Buch Islands zu hüten.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Ich weiß, dass du das wirst.«
Das ferne Dröhnen aus dem Maschinenraum des Schiffs und das sanfte Schlingern ließen mich etwas ruhiger werden, aber trotzdem hatte ich entsetzliche Angst, auch wenn ich das dem Professor gegenüber nicht erwähnte.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich nach langem Schweigen. »Tun?«, sagte der Professor, und obwohl ich nichts sah, kam es mir so vor, als lächelte er. »Wir können wenig tun. Es hängt alles von ihnen ab. Aber es ist noch nicht vorbei, Valdemar, es ist noch längst nicht vorbei.«
»Wo ist der Codex Regius ?«
»Näher, als du denkst«, sagte der Professor. »Denkst du manchmal über den Tod nach, Valdemar?«
»Nicht oft. Aber im Augenblick
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