Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
damit?«
»Du hast gesagt, es ginge um Leben und Tod. Wessen Leben ist in Gefahr?«
»Meines«, erklärte der Professor. »Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Komm mit, und ich sage dir, was da gespielt wird. Du wirst es nicht bereuen, Valdemar. Das ist etwas, was du nie in deinem Leben bereuen wirst.«
Zehn
Der Professor war damals noch ein junger Mann, falls es überhaupt möglich ist, sich ihn in jungen Jahren vorzustellen, und er hatte gerade zum ersten Mal seine Gitte in der Königlichen Bibliothek getroffen. Sein schon damals zerzaustes Haar war da natürlich noch etwas dichter und auch wesentlich dunkler. Er war schlank und gut gebaut, vielleicht auch im Gegensatz zu späteren Jahren gut rasiert, ein dunkel gekleideter Mann von Welt zu Besuch in der Stadt am Sund. Damals war er frisch verliebt in Gitte, die wie ein scheuer Engel in sein Leben getreten war. Vielleicht waren es die besten Jahre seines Lebens, als sie zueinanderfanden und eins wurden. Das war jedenfalls mein Eindruck, weil er nie über Gitte redete. Er sprach nie über seine große Liebe. Es hatte ganz den Anschein, als wolle er die Erinnerung an sie vor nichtigen Worten bewahren, er, der die Macht der Worte besser kannte als irgendein anderer.
Zu dieser Zeit erforschte und registrierte der Professor mit akribischer Gründlichkeit die Bücher- und Briefesammlung von Árni Magnússon und fand zwei bis dahin unbekannte Briefe des Bischofs von Uppsala, die zusammengefaltet in einer Abschrift der Völsunga saga steckten. In dem einen Brief bat Bischof Árni Magnússon darum, seinen Neffen, einen angehenden Theologen, der sich für die Handschriftensammlung von Árni interessierte, gut aufzunehmen. In dem anderen Brief berichtete der Bischof darüber, dass er ein Angebot von einem Mann in Skåne erhaltenhabe, der ein gut erhaltenes Exemplar der Bibel von Bischof Guðbrandur besaß und es ihm verkaufen wollte; der Bischof von Uppsala erkundigte sich danach, ob Árni Interesse hätte und sich finanziell in der Lage sähe, es ihm abzukaufen. Auf die Rückseite dieses Briefes hatte Árni geschrieben: »Rósa B. … in Händen …« Zwei Worte in diesem Satz waren vollständig unleserlich. In alten Briefen gab es viele derartige Anmerkungen, doch dieser hier schenkte der Professor seine besondere Aufmerksamkeit, obwohl er sich zunächst keinen Reim darauf machen konnte.
Zwei Jahre später wurde er gebeten, sich die Bibliothek aus dem Nachlass eines dänischen Kaufmanns in Kopenhagen anzusehen, der isländischer Abstammung gewesen war. Es ging darum, den Wert der Sammlung zu taxieren. Der Professor wusste etwas über den Hintergrund dieses Kaufmanns, dessen isländischer Großvater eine dänische Frau geheiratet hatte. Der Mann war zu seiner Zeit einer der bedeutendsten dänischen Büchersammler gewesen und hieß Baldvin Thorsteinsson. Als der Professor die Korrespondenz dieses Baldvins genauer unter die Lupe nahm, fand er eine kurze Notiz über eine Frau mit Namen Rósa Benediktsdóttir, die zur Zeit von Bischof Brynjólfur Sveinsson auf dem Bischofssitz in Skálholt gewesen war. Diese Notiz stand in keinerlei Zusammenhang mit irgendetwas anderem in den Briefen, und es hieß darin, dass die letzte Ruhestätte von Rósa Benediktsdóttir zweifellos schwierig zu finden wäre, »falls jemandem der Sinn danach steht, sich zu ihr hinunterzugraben«.
Der Professor brachte das sofort mit Árni Magnússons Notiz über eine Rósa B. auf dem Brief des Bischofs von Uppsala in Verbindung, und er setzte all seinen Ehrgeiz darein, der Sache auf den Grund zu gehen und herauszufinden, um wen es sich handelte und ob in beiden Fällen von derselben Rósa die Rede war. Außer dem Namenhatte er nur diese Notiz in der Hand, die auf 1860 datiert war. Rósa Benediktsdóttir musste also vor dieser Zeit unter die Erde gekommen sein. Der dritte Grund für das Interesse des Professors an Rósa war aber vielleicht der schwerwiegendste: Als junger Student hatte ihm jemand das Blatt mit den Runen in Jón Sigurðssons Schreibtisch gezeigt, aus dem er die Worte »Lücke bei R.« herausgelesen hatte.
In Kopenhagen fand er nichts über diese Frau, und es gab auch keine weiteren Hinweise in der Korrespondenz von Baldvin Thorsteinsson. Einige Zeit später befasste er sich mit einem Teil der Korrespondenz des dänischen Naturforschers Japetus Steenstrup, der mit Jónas Hallgrímsson befreundet gewesen war und auf Sorø gelebt hatte. Darin fand er ein Schreiben von Jónas an Steenstrup
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