Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
von seiner letzten Forschungsreise nach Island. Es war einer Kiste mit einer umfangreichen Steinesammlung beigelegt worden, die Jónas seinem Freund gesandt hatte. In diesem Schreiben gab es eine kurze Notiz über einen Hof namens Hallsteinsstaðir, den Jónas besucht hatte. Er erwähnte, dass dort früher eine Kirche gestanden hatte und dass auf dem dortigen Friedhof zuletzt eine alte Frau aus Skálholt begraben worden sei, »die Brynjólfur Sveinsson kannte«. Zwar führte Jónas Hallgrímsson ausführlich Tagebuch über seine Reise, doch der Professor fand keine weiteren Anhaltspunkte über den Hof Hallsteinsstaðir oder diese Rósa.
Jahre vergingen, ohne dass der Professor in dieser Sache weiterkam, und letzten Endes ging es nur um eine Randnotiz wie so viele andere, mit denen er sich als Forscher zu beschäftigen hatte.
Nach Gittes Tod beschloss er, nach Island zu gehen und dort einige Zeit zu verbringen. Ihm kam die Idee, sich alte Annalen und Bücher anzusehen, ob darin irgendwo eineRósa Benediktsdóttir erwähnt wurde. Dabei stieß er auf die alten Kirchenbücher der Gemeinde Hallsteinsstaðir, und nach intensiven Nachforschungen, für die er drei Wochen brauchte, war er der Meinung, das Wichtigste über Rósa Benediktsdóttir in Erfahrung gebracht zu haben.
Sie wurde 1632 im Skagafjörður geboren, als Tochter einer Magd, die oft den Dienst wechselte und zwei uneheliche Kinder hatte. Im Alter von sieben Jahren schickte man Rósa auf den Hof Torfalækur in Nordisland, und sobald sie alt genug war, um selbst für ihren Unterhalt zu arbeiten, verdingte sie sich auf einem Hof in Südisland in der Nähe von Skálholt. Im Alter von einundzwanzig Jahren kam sie nach Skálholt und stand dort in Diensten der Bischofstochter Ragnheiður. Sie musste auf jeden Fall mitbekommen haben, was sich da 1661 zwischen Daði Halldórsson, einem angehenden Priester, auf den Bischof Brynjólfur große Stücke hielt, und der Tochter des Bischofs anbahnte. Als Ragnheiður ein Kind von Daði zur Welt brachte, war das ein unerhörter Skandal, nicht zuletzt deswegen, weil sie genau neun Monate zuvor einen Eid auf die Bibel geschworen hatte, unberührte Jungfrau zu sein. Daði, der wegen eines anderen Vergehens dieser Art in dem Ruf stand, ein Schürzenjäger zu sein, musste Skálholt mit Schimpf und Schande verlassen. Ragnheiður wurde das Kind weggenommen, und sie erholte sich nie von diesen Ereignissen. Sie starb im Alter von nur zweiundzwanzig Jahren, was ihrem Vater sehr zu Herzen ging. Etliche Jahre später wurde Daði vom dänischen König begnadigt und erhielt die Stelle des Gemeindepfarrers in Steinsholt im Árnes-Bezirk. Rósa folgte ihm dorthin, inzwischen eine verheiratete Frau, und dort gebar sie ein Kind. Das nächste Jahrzehnt verbrachte sie in Steinsholt, doch als sie Witwe wurde, übersiedelte sie ein letztes Mal in ihrem Leben und zog mit ihrem Kind zu ihrem Halbbruder, derin Nordisland auf dem Hof Hallsteinsstaðir lebte. Dort verschied sie in hohem Alter im Jahre 1719, so stand es im Kirchenregister der Gemeinde.
Ihre Grabstätte, für die sich Baldvin Thorsteinsson aus irgendwelchen Gründen interessiert hatte, befand sich deswegen auf dem Friedhof von Hallsteinsstaðir. Der Professor hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb das Grab dieser armen Dienstmagd aus längst vergangenen Zeiten mehr als hundertvierzig Jahre später für Baldvin so wichtig war, und er unternahm eine Reise, um das herauszufinden. Er ging der Geschichte der Kirche auf diesem Hof nach und konnte sich in dem Zusammenhang an den Reisebericht eines englischen Reisenden erinnern, Sir Dens Leighton, der in den Jahren 1721 und 1722 mit großem Tross Island bereist hatte. Unter den Teilnehmern der Expedition hatte sich unter anderem auch ein Landschaftsmaler befunden. Die Reise hatte sie auch nach Hallsteinsstaðir geführt, und die Skizze von dort zeigte einen niedrigen, grassodengedeckten Hof mit drei Frontgiebeln und einer Torfkirche im Hintergrund. Leighton erwähnte in seinem Reisebericht die Kirche, die zwei Jahre zuvor niedergelegt worden war, und dass man zwei Jahre zuvor die letzte Person dort beerdigt hatte, eine steinalte Frau.
Der Professor machte sich auf den Weg nach Nordisland. Er brauchte mit zwei gemieteten Pferden zwei Tage, um in das Tal zu gelangen, in dem Hallsteinsstaðir lag. Er war ganz allein unterwegs und hatte ein Zelt dabei. Eine Nacht hatte er im nächsten Ort verbracht und versucht, sich nach dem alten Hof im
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