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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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gewann ich wieder Einblicke in sein Inneres, als er mir sagte, dass er mich brauche. Trotz seiner groben Art und dem, was er über mich und meine Mutter gesagt hatte, verspürte ich den Wunsch, ihm zu helfen.
    Aber nicht nur aus Mitleid gab ich nach. Da steckte noch etwas anderes dahinter, ein Gefühl, das mich selbst überrascht hatte. Mein Interesse war erwacht. Ich wollte mehr wissen. Dem Professor war es gelungen, meine Neugierde zu entfachen, als er den Brief aus dem Geheimfach in derSchreibtischschublade von Jón Sigurðsson hervorzog und mich nach Norwegen mitnahm, um diesen Jörgensen zu treffen. Der Professor nannte das den alten Jagdinstinkt, und ich weiß nicht, ob es ein passenderes Wort dafür gibt. Wenn er alten Handschriften, Büchern, Briefen oder irgendeiner Sache auf die Spur kam, von der er glaubte, dass sie irgendeinen kulturellen Wert für Island oder für ihn selbst hatte, gar nicht zu reden von so etwas unschätzbar Wertvollem wie den verschollenen Seiten aus dem Codex Regius , ging er dieser Spur nach wie ein Raubtier, das Blut geleckt hatte. Ich hatte mich noch nie so gefühlt, aber ich begann, diese seltsame erwartungsvolle Spannung zu spüren, die das Blut pulsieren ließ. Ich war davon ausgegangen, dass die Erforschung der Handschriften eine Tätigkeit war, die sich in einem warmen, gemütlichen Büro abspielte, wo man seine Ruhe hatte vor der heutigen Zeit mit ihrem Lärm und ihrer Betriebsamkeit. Ich hatte eine bestimmte Vorstellung von dieser Tätigkeit gehabt, die mir sehr gefiel, da Lehre und Forschung in angenehmem Arbeitsumfeld Hand in Hand gingen. Doch dann riss mich der Professor aus dieser Beschaulichkeit heraus, mein Puls begann, schneller zu pochen, das Denken wurde beflügelt, die Nerven gekitzelt.
    »Ich danke dir, dass du mitgekommen bist, Valdemar«, sagte der Professor unvermittelt und sah mich an. Ich saß ihm gedankenverloren gegenüber.
    »Ich wollte mitkommen«, sagte ich und räusperte mich. »Du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken.«
    »Das über deine Mutter ist mir leider so herausgerutscht.« Ich schwieg. Ich wollte nicht über meine Mutter reden, nicht mit ihm und auch nicht mit jemand anderem.
    »Hörst du manchmal von ihr?«, fragte der Professor.
    »Nein«, sagte ich. »Eigentlich kaum noch.«
    »Und dein Vater?«, fragte der Professor.
    »Ich möchte nicht darüber reden«, antwortete ich. »Es spielt keine Rolle für mich.«
    »Spielt es keine Rolle, wer dein Vater ist?«
    »Nein, das spielt keine Rolle«, sagte ich.
    »Was sagt deine Mutter dazu?«
    »Zwischen mir und meiner Mutter gibt es keine Verbindung.«
    Der Professor blickte mich lange an. Ich glaubte, er würde mich weiter nach meinen Privatangelegenheiten ausfragen, aber er gab es auf und blickte in die flache Landschaft hinaus.
    Wir kamen noch am Vormittag in Wismar an und kauften uns eine Fahrkarte für den Linienbus, ein klappriges Vorkriegsvehikel. Am Busbahnhof hatten wir uns bis zur Abfahrt des Busses auf Holzbänken ausgestreckt und waren etwas eingenickt. Mehr Schlaf hatten wir auf der Reise nicht bekommen.
    Unterwegs nach Schwerin fuhr der Professor mit seiner Erzählung darüber fort, was er in dem abgeschiedenen Tal in Nordisland entdeckt hatte. Zu seinem Erstaunen hatten sich also zwei Skelette im gleichen Grab befunden.
    »Zwei Leichen?«, fragte ich. »Was ist da passiert?«
    »Der Bauer von Hallsteinsstaðir verschwand damals auf unerklärliche Weise«, sagte der Professor. »Ich nehme an, dass er dort über Rósa lag. Er wurde vermutlich ermordet.«
    »Willst du damit sagen, dass dieser Baldvin ihn umgebracht hat?«
    Der Professor schüttelte den Kopf. »Baldvin kann es auf keinen Fall gewesen sein, er starb nämlich 1861, zwei Jahre bevor der alte Bauer von der Bildfläche verschwand. Da musste jemand anderes am Werke gewesen sein. Ich tappte aber völlig im Dunkeln, wer das gewesen sein könnte. Ich habe seitdem ohne Unterlass nach diesem Mann gesucht.Die Frage, wer das Grab von Rósa geöffnet hatte, verfolgte mich ständig, aber ich kam keinen Schritt weiter. Ich habe Reiseberichte und Passagierlisten durchforstet, doch dieser eine Name, den wir in Århus gefunden haben, war mir entgangen. Erst als ich den Namen von Ronald D. Jörgensen im Archiv in Århus hörte, wusste ich, dass ich den richtigen Mann gefunden hatte. Er und Baldvin Thorsteinsson kannten sich wegen ihrer bibliophilen Interessen, und sie korrespondierten sogar miteinander. In Baldvins Nachlass hatte ich

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