Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
die Seiten entfernt und sie Rósa gegeben – oder umgekehrt, das lässt sich nach allen Richtungen drehen und wenden. Rósa ließ sich an der Seite ihres Sohnes begraben. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass er der Sohn von Daði war. Es ist sehr schwierig, dies alles lückenlos aufzuklären.
    »Ja, das ist es wohl.«
    »Am besten frage ich allein nach«, sagte der Professor und blickte am Dom hoch. »Wir dürfen kein Aufsehen erregen. Im nächsten Moment war er schon davongestürmt und im Dom verschwunden. Ich wartete draußen auf ihn und bewunderte den gewaltigen Backsteinbau mit seinem fast hundertzwanzig Meter hohen Turm. Er war allenthalben von niedrigen Häusern umgeben und wirkte auf gewisseWeise eingezwängt. In der Zwischenzeit hatte sich der Nebel etwas gelichtet, und man konnte jenseits eines der sieben Seen der Stadt ein beeindruckendes Schloss sehen. Schwerin war eine alte deutsche Kulturstadt, und überall gab es Zeugnisse früheren Reichtums.
    Der Professor kehrte zurück, und wir fanden ein schäbiges Lokal an der Mecklenburger Straße, wo wir Schweinebraten aßen, den wir mit Bier runterspülten. Der Professor genehmigte sich zwei Schnäpse dazu. Auf der Reise hatte er bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Alkohol angerührt.
    »Was hast du über die Grabstätte erfahren?«
    »Die Gruft hat die Nummer Q 555. Sie ist unverschlossen, und es gibt auf dem Friedhof keine Aufsicht, weder nachts noch tagsüber. Wir werden also ungestört sein.«
    »Und was jetzt?«, fragte ich und sah mich um. Wir beide waren ganz allein in dem Lokal.
    »Wir warten, bis es dunkel wird«, erklärte der Professor. »Mir will das überhaupt nicht gefallen«, sagte ich beunruhigt. »Wir begehen eine strafbare Handlung, darüber bist du dir doch hoffentlich im Klaren.«
    »Mach dir doch nicht so viele Sorgen, Valdemar. Niemand wird jemals davon erfahren.«
    »Davon erfahren?«, wiederholte ich zerstreut seine letzten Worte.
    »Wir tun das ja nicht für uns selbst«, sagte der Professor. »Es sind viel größere und wichtigere Interessen im Spiel als deine und meine. Versuch doch, das aus dieser Perspektive zu betrachten, dann wirst du vielleicht etwas ruhiger.«
    »Aber falls sich die Seiten nicht dort befinden, was dann?« »Dann bringen wir einfach alles wieder in Ordnung und suchen weiter.«
    Er verstummte und zog seine Schnupftabaksdose hervor. »Wir haben so viel verloren«, sagte er nach längerer Pause.»Meinst du Handschriften?«
    »Wenn man an die Unmengen denkt, die der Vernichtung anheimgefallen sind – verbrannt oder in den Tiefen des Meeres versunken, in Vergessenheit geraten oder verschollen«, sagte er. »Alles, was uns zu einer Nation gemacht hat. All diese Schätze. Die Bücherkiste von Ingimundur, die wir aus der Sturlunga saga kennen, die im Nordwesten Islands an Land gespült wurde. Wenn man an die herankäme! Und dann alles, was Hannes Þorleifsson 1682 gesammelt hatte und vor der Küste von Langanes im Meer versank. Jón aus Grunnavík berichtet, dass eine ganze Tonne mit Briefen und Pergamenthandschriften auf dem Weg nach Hamburg in der Elbe versunken ist.«
    Der Professor seufzte tief. »Einiges haben sich private Sammler unter den Nagel gerissen, so wie Herzog August im siebzehnten Jahrhundert. Er kaufte Handschriften in Kopenhagen, die in Wolfenbüttel aufbewahrt werden: die Egils saga und die Eyrbyggja saga in Pergamentabschriften aus dem vierzehnten Jahrhundert.«
    Alle, die in Island Nordistik studierten, kannten die Geschichten darüber, wie ganze Handschriftensammlungen verloren gegangen oder vernichtet worden waren, aber noch nie hatte ich jemanden mit so großer Leidenschaft und so tiefer Trauer davon sprechen hören. Innerlich stimmte ich natürlich mit dem Professor überein. Ich wollte ihm helfen, aber ich schreckte davor zurück, eine Grabschändung zu begehen, und ein Gefühl der Ohnmacht ihm gegenüber drohte mich zu überwältigen. Es hatte nichts zu sagen, dass der Zweck ein guter war. Im Gedankengang des Professors gab nur eines den Ausschlag: Falls irgendeine Hoffnung bestand, dass sich die verschollenen Seiten aus dem Codex Regius in Ronald D. Jörgensens Gruft in Schwerin befanden, würde er nachprüfen, ob das stimmte, um sie nach Island zurückzubringen.
    Bei Anbruch der Dämmerung schlenderten wir durch die Stadt, ohne ein bestimmtes Ziel, wie ich glaubte. Bevor ich mich versah, befanden wir uns aber in einem Wohngebiet mit bescheidenen Einfamilienhäusern und Gärten. In

Weitere Kostenlose Bücher