Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
sogar schon wieder in der Königlichen Bibliothek befand. Der Professor empfand es als Unverschämtheit, dass Joachim von Orlepp versuchte, die Sache so zu drehen, als sei die Suche nach dem Codex Regius etwas Verbindendes zwischen ihnen, und zu allem Überfluss noch vorschlug, sich zusammenzutun. Bei dem Zusammentreffen im Hviids kam Joachim von Orlepp auch auf die verschollenen Seiten zu sprechen, was dazu führte, dass sich der Professor erneut auf die Suche machte. Er hatte das Gefühl, er dürfe keine Zeit verlieren. Er hatte keine Ahnung, dass Joachim von Orlepp all seine Unternehmungen die ganze Zeit belauerte.
»Aber was ist, wenn der alte von Orlepp den Codex Regius tatsächlich verkauft hat, bevor er Deutschland verließ?«, fragte ich den Professor auf der Fähre.
»Quatsch«, sagte der Professor. »Das macht überhaupt keinenSinn. Ich kenne das Läppchen. Alles andere hätte er verkauft, aber niemals die Edda.«
»Dann wäre sie aber noch in Europa«, beharrte ich zögernd.
»Erich von Orlepp hätte diese Handschrift nie im Leben verkauft«, wiederholte der Professor. »Das glaube ich einfach nicht. Eher hätte er sein eigenes Söhnchen verscherbelt! Außerdem ist mir nichts dergleichen zu Ohren gekommen, als ich in Berlin war. Wenn das Buch tatsächlich auf den Markt gekommen und in andere Hände übergegangen wäre, hätte ich davon erfahren müssen. Ich kenne mich da gut aus, ich habe dort Freunde unter den Experten. Von denen gibt es nicht viele.«
»Wer hätte denn nach dem Krieg ein solches Buch kaufen können?«
Der Professor saß lange stumm da. Es war, als wolle er den Gedanken nicht zu Ende denken, dass der Codex Regius sich in Europa oder irgendwo in der Welt herumtreiben könnte und der Gnade oder Ungnade von Leuten ausgeliefert war, die mit alten Kunstschätzen spekulierten.
»Alle möglichen Leute«, sagte er schließlich. »Schweden, Deutsche, Italiener, Amerikaner, Holländer. In all diesen Ländern gibt es besessene Sammler. Wenn eine öffentliche Institution sie erworben hätte, würden wir davon erfahren haben.«
»Die Vorstellung, dass sie eines Tages beispielsweise in einer römischen Bibliothek auftauchen könnte, muss ja wie ein Albtraum für dich sein.«
Der Professor sank in sich zusammen und verstummte wieder.
»Hast du mit denen gesprochen, bei denen er in Gefangenschaft war?«, fragte ich nach geraumer Zeit. »War er bei den Amerikanern?«
»Ja, und die waren es auch, die ihn zum Schluss haben laufenlassen. Die Russen haben ihn verhaftet, die Briten hatten ihn eine Zeit lang in Gewahrsam, und dann wurde er den Amerikanern überlassen. Denen hat er es zu verdanken, dass er aus Deutschland herauskam. Ich habe herausgefunden, wo Erich von Orlepp in Berlin gewohnt hat, aber das Haus und die ganze Straße wurden zerbombt. Ich habe nur Trümmer vorgefunden.«
Als der Professor die Russen erwähnte, erinnerte ich mich daran, dass er mich an dem Abend, als wir vor Jón Sigurðssons Schreibtisch im Provianthaus standen, gefragt hatte, ob ich etwas über Russen wüsste, vor allem solche, die aus der Sowjetunion geflohen seien. Ich erinnerte mich auch an den Brief auf seinem Schreibtisch, der aus Moskau kam.
»Was haben die Russen gesagt, die ihn gefangen genommen haben?«, fragte ich.
»Zu denen habe ich nie Kontakt bekommen«, antwortete der Professor. »Die schotteten sich völlig ab. Mit den Engländern, die ihn aus russischer Gefangenschaft übernahmen, habe ich gesprochen, aber er war nur ein paar Tage in ihrem Gewahrsam, und sie wussten nichts über irgendwelche wertvollen Kunstschätze in Verbindung mit ihm. Der amerikanische Major, der die ersten Verhöre geleitet hatte, sagte, dass Orlepp sofort ganz versessen darauf gewesen war, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Angelegenheit unterstand einem General namens Hillerman, und er war es, der ihm zur Flucht verhalf. Ich habe mich mit ihm getroffen, aber dabei ist wenig herausgekommen. Er fand es richtig, dass kooperationswilligen Nazis die Freiheit geschenkt wurde, auch wenn man ihnen Kriegsverbrechen nachweisen konnte. Du kannst dir vorstellen, wie sehr er sich für meine Sorgen wegen einer alten Pergamenthandschrift interessiert hat.« »Könnte es sein, dass dieser Hillerman geschmiert worden ist, dass von Orlepp ihn bestochen hat?«
»Mit dem Codex Regius , meinst du? Das kann ich mir nicht vorstellen. Dieser Hillerman kam mir total borniert vor, wie ein Mann, für den ein Menschenleben gar nichts bedeutet,
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