Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
hatte. Ich sah ihn allein vor seinem Schreibtisch sitzen, mit einer Flasche auf dem Tisch, und mit gebrochenen Augen seinem eigenen schrecklichen Schicksal ins Auge blicken. Dann schlief ich erneut ein.
Vierzehn
Ich sitze beim Schein der Schreibtischlampe und drehe die Schnupftabaksdose des Professors zwischen den Fingern. Es ist still im Haus, denn es ist Nacht. Ich habe in letzter Zeit Schlafprobleme, und dann gehe ich nach unten und setze mich an meinen Schreibtisch. Obwohl bereits viel Zeit seit diesen Ereignissen verstrichen ist, habe ich sie immer noch deutlich vor Augen. Jahre sind seitdem ins Land gegangen, immer schneller, je älter man wird, und mit dem Alter wandern meine Gedanken immer häufiger zurück in jene seltsame und bizarre Zeit, als ich herausfand, dass der kostbarste Schatz unserer Nation, der Codex Regius mit den Eddaliedern, aus Dänemark geraubt wurde und für den Professor genauso wie für alle Isländer verloren war. Die Handschrift war wie vom Erdboden verschluckt, und niemand wusste, was aus ihr geworden war.
Der Professor hatte nach ihr gesucht, seit sich Erich von Orlepp die Handschrift durch erpresserische Gewalt angeeignet hatte. Die Zeit war inzwischen knapp geworden. Ich tat mein Bestes, um ihn davon zu überzeugen, dass er sich über dieses furchtbare Ereignis, das ihm zu Kriegsende widerfahren war, aussprechen sollte und über all das, was ihn seitdem verfolgte, aber das kam für ihn nicht in Frage. Vielleicht vertraute er auf seine Hartnäckigkeit, die meiner Meinung nach an Wahnsinn grenzte. Vielleicht vertraute er darauf, dass sie ihn ans Ziel bringen würde, auch wennalles andere fehlgeschlagen war. Darüber weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass ihm deswegen noch viel dramatischere Ereignisse bevorstanden, als er jemals hätte ahnen können.
Auf dem Weg von Schwerin nach Kopenhagen hatte mir der Professor davon erzählt, wie er nach Ende des Kriegs nach Deutschland gereist war, um Erich von Orlepp aufzuspüren. In den Jahren, die verstrichen waren, seitdem ihm der Codex Regius abgezwungen worden war, glaubte er manchmal, der Handschrift auf die Spur gekommen zu sein, aber es hatte letzten Endes nie zu etwas geführt. Er versuchte, von Orlepps Wege nach dem Krieg zu verfolgen, und fand heraus, dass er wenige Tage nach der deutschen Kapitulation von den Alliierten gefangen genommen worden war. Er verbrachte einige Wochen im Gefängnis, verschwand dann aber plötzlich aus Deutschland, und dem Professor war nicht bekannt, dass er seitdem wieder dorthin zurückgekehrt war. Er fand heraus, dass von Orlepp den Alliierten außerordentlich nützlich gewesen war. Nach seiner Verhaftung gelang es ihm auf nicht nachvollziehbare Weise, das Vertrauen der amerikanischen Militärregierung in Berlin zu gewinnen. Der Professor erfuhr, dass von Orlepp hochgestellte Parteifreunde ausgeliefert hatte. Diese Gefälligkeit wurde ihm mit Straferlass vergolten, und ihm gelang es, sich nach Südamerika abzusetzen. Dort tauchte er unter, lebte eine Zeit lang in Chile und Argentinien und zum Schluss in Ecuador, wo die Spur endete. Der Professor war immer davon ausgegangen, dass er den Codex Regius mitgenommen hatte und dass sich die Handschrift jetzt in Südamerika befand. Als aber von Orlepps Sohn Joachim Verbindung mit dem Professor aufnahm, sagte der ihm, dass sein Vater vor einigen Jahren verstorben sei. Angeblich hatte der Alte etliche Kostbarkeiten aus seiner Sammlung in Deutschland zu Geldgemacht, bevor er sich absetzte, darunter auch den Codex Regius . Der Professor wollte dem nicht so recht Glauben schenken, schließlich war er ja von den Orlepps nichts anderes als Lügen und Betrug gewohnt; er war nach wie vor überzeugt, dass Erich von Orlepp noch am Leben und im Besitz der Handschrift war. Der Professor machte Joachim von Orlepp ein Angebot. Er war bereit, Erich von Orlepp für die Handschrift zu zahlen, was auch immer er dafür verlangte. Joachim hatte aber bloß den Kopf geschüttelt, den Professor auf unangenehme Weise angelächelt und erklärt, er wisse selbst nicht, wo sich die Edda befände. Der Professor schenkte Joachim von Orlepp keinen Glauben, als dieser erklärte, selbst auf der Suche nach der Edda zu sein. Er war sogar der Meinung, dass die Handschrift für jeden zu haben sei, der genügend Geld böte. Er hatte sich mit dem Professor in Verbindung gesetzt, weil er herauskriegen wollte, ob der etwas über das Schicksal der Handschrift wusste oder ob sie sich möglicherweise
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