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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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nickte, so gut er das mit dem Stock an seiner Kehle konnte, den wir jetzt beide festhielten. Wir sahen fast sein ganzes Gesicht. »Wir wollen dir nichts Böses«, wiederholte der Professor und erklärte, dass wir loslassen würden, falls er verspräche, uns nicht wieder anzugreifen, sondern sich anzuhören, was wir von ihm wollten.
    Ganz langsam lockerten wir den Stock, und der Kopf des Mannes sank auf den Boden. Der Professor befahl mir aufzustehen, und dann stieg er selbst von dem Russen herunter. Der blieb liegen und rührte sich nicht. Die Frau hingegen hatte sich durch diesen unerwarteten Besuch nicht stören lassen und schlief tief und fest weiter.
    »Ja, ich bin Boris«, sagte der Russe, stand auf und musterte uns hasserfüllt.
    »Ich muss dich nach einem Vorfall aus dem Krieg fragen«, sagte der Professor. »Als du nach dem Sieg über die Nazis in Berlin stationiert warst.«
    »Seid ihr wirklich aus Island?«, fragte Boris, der wohl immer noch rätselte, was dieser Besuch zu bedeuten hatte.Er griff nach seiner Hose, die auf dem Stuhl lag, und zog sie an.
    »Ja«, antwortete der Professor.
    »Dann entschuldigt bitte«, sagte Boris, der sich offenbar beruhigt hatte. »Ich dachte, ihr kämt aus Moskau.«
    »Das, worüber wir mit dir sprechen wollen, klingt vielleicht etwas seltsam, aber du kannst uns möglicherweise weiterhelfen«, sagte der Professor mit ausgesuchter Höflichkeit. Er zog sich den Mantel aus, ging zu der Bettstelle, breitete ihn behutsam über die schlafende Frau und setzte sich auf die Bettkante.
    Ich rieb mir den Hals, der schrecklich weh tat.
    »Ich war nach Kriegsende in Berlin, um nach einem Mann zu suchen, den du verhaftet hast. Du warst doch mit der Roten Armee in Berlin, nicht wahr?«
    Der Russe antwortete ihm nicht. Er sah immer noch sehr misstrauisch aus.
    »Dieser Mann in Berlin, nach dem wir suchen, heißt Erich von Orlepp«, fuhr der Professor fort. »Er war ein hoher Nazi-Funktionär. Ihr habt ihn den Engländern überlassen, und dann haben die Amerikaner ihn übernommen. Mit den Briten und den Amerikanern habe ich gesprochen, aber nie mit den Russen. Jetzt habe ich dich gefunden.«
    »Wie?«, fragte Boris.
    »Ich versuche seit Jahren, diejenigen ausfindig zu machen, die diesen von Orlepp zuerst gefangen genommen haben, aber das sowjetische System ist nicht gerade … Na, lassen wir das. Ich erfuhr, dass du einige Jahre nach dem Krieg in den Westen gegangen bist. Ich habe Freunde in Moskau, die mir behilflich waren. Sie haben sich mit deiner Mutter in Verbindung gesetzt.«
    »Hast du mit meiner Mutter gesprochen?«, fragte der Russe. »Nein, nicht ich, sondern meine Freunde haben das getan.Sie lässt dir Grüße ausrichten. Sie lebt in Moskau, nicht wahr?«
    »Ich vermisse Moskau«, sagte Boris trübe. »Ich habe Briefe geschickt, aber nie welche zurückbekommen. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt angekommen sind.«
    »Einige auf alle Fälle«, sagte der Professor. »Zumindest wusste deine Mutter, dass du zuletzt hier in Amsterdam gelandet warst.«
    Der Professor wandte sich mir zu und befahl mir, eine Flasche Wodka unten aus der Bar zu holen. Er reichte mir ein paar Gulden und sagte mir, ich solle mich beeilen. Ich sauste los, rannte auf den Korridor hinaus und die Treppe hinunter in die Kneipe. Einem verblichenen Schild am Eingang glaubte ich entnehmen zu können, dass sie »Der fette Kater« hieß. Ich bat um eine Flasche Wodka, zeigte mein Geld und wurde zügig bedient. Einige der Kunden waren bemitleidenswerte Gestalten und stierten mich in betrunkenem Zustand an, wieder andere saßen an Tischen zusammen und unterhielten sich lebhaft, und aus den Boxen erklang Perry Como. Sobald der Barkeeper mir die Flasche ausgehändigt hatte, rannte ich wieder nach oben in das Zimmer des Russen.
    Es stellte sich heraus, dass dieser Mann tatsächlich Boris Gruschenkow war, Deserteur aus der Roten Armee, landesflüchtig und heimatlos, seitdem er aus Amerika zurückgekommen war, wo er das kapitalistische Wirtschaftssystem in seiner ganzen Herrlichkeit kennengelernt hatte – ohne sich aber dafür begeistern zu können. Anschließend hatte er sich in Europa herumgetrieben und war schließlich in Holland gelandet, wo er weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis hatte. Er fristete sein kümmerliches Dasein mit Schwarzarbeit, entweder als Türsteher oder als Zuhälter, meistens beides in Kombination.
    Er erklärte, dass es seiner Familie nach seiner Flucht nichtsonderlich gut ergangen wäre, sie

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