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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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hatte alles ausbaden müssen. Er traute sich aber nicht, zurückzugehen, denn als Deserteur drohte ihm die Todesstrafe.
    »Ich vermisse Russland«, sagte er.
    Er sprach dem Wodka wacker zu und schien sich mit der Anwesenheit von zwei unbekannten Besuchern ausgesöhnt zu haben, die von weit her gekommen waren, um ihm ein seltsames Anliegen zu unterbreiten. Die Frau schlief immer noch unter dem Mantel des Professors. Boris erwies sich als ziemlich redselig, nachdem ihm der Wodka die Zunge gelockert hatte. Unter der hohen und intelligenten Stirn waren kleine Augen, und seine Nase hatte große Ähnlichkeit mit einer ansehnlichen Kartoffel. Sein Unterkiefer sprang etwas vor. Nach und nach ging der Professor dazu über, den Russen nach den Ereignissen zu Kriegsende in Berlin und von Orlepp auszufragen. Der Mann hatte ein gutes Gedächtnis. Er war stolz darauf, am Krieg gegen die Nazis teilgenommen zu haben; er nannte uns den Namen seines Regiments und wo sie gekämpft hatten. Sie waren auch beim Kampf um Stalingrad dabei gewesen, und er ließ sich lang und breit darüber aus, welchen Anteil sie daran gehabt hatten, die Deutschen aus Russland und quer durch Osteuropa nach Westen zu treiben. Unter Marschall Georgi Schukow nahmen sie Städte und Dörfer in Deutschland ein und verschonten nichts und niemanden, bis sie eines Tages Berlin erreichten und die rote Fahne auf den Ruinen des Reichtags hissten.
    »Ein phantastischer Tag«, sagte Boris. »Als die Fahne gehisst wurde, war der Krieg vorbei. Wir und die englischen und amerikanischen Soldaten fielen uns in die Arme und küssten uns, sie waren unsere Verbündeten, unsere Freunde. Ich dachte, dass sich jetzt vieles verändern würde. Wir hatten gemeinsam Hitler und die Nazis zur Strecke gebracht,und ich glaubte, wir würden für alle Zeiten Verbündete bleiben. Aber so lief es natürlich nicht.«
    »Deswegen hast du dich entschlossen, in den Westen abzuhauen«, sagte der Professor vorsichtig.
    »Wieso weißt du das alles über mich?«, sagte Boris, dem es nicht geheuer zu sein schien, dass andere über seinen Lebenslauf Bescheid wussten. »Hast du mich bespitzelt?«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht«, beeilte sich der Professor zu versichern. »Ich suche nur seit langem nach dir und weiß deshalb, dass du aus der Sowjetunion geflohen bist. Meine Freunde in Moskau sagten mir, du seist in die Vereinigten Staaten gegangen.«
    »Scheißkapitalismus«, sagte Boris und setzte die Wodkaflasche an den Hals. »Seid ihr schon mal dort gewesen? Die haben natürlich gedacht, dass ich auspacken und ihnen gute Dienste leisten würde. Sie wollten Informationen, über die Rote Armee, über Ostberlin. Ich habe ihnen gesagt, dass ich kein verfluchter Denunziant sei und nichts über meine Freunde verraten würde. Sie hatten zum Schluss die Schnauze gestrichen voll von mir – und ich von ihnen.«
    »Es ist sicher nicht einfach gewesen, aus Ostberlin zu fliehen«, sagte der Professor. Ich merkte, dass er sich langsam an sein Thema heranarbeitete, ohne den Russen dabei überfahren zu wollen.
    »Die Flucht war überhaupt kein Problem«, sagte Boris. »Die werden bestimmt die Grenzen irgendwann noch ganz dichtmachen. Mich hielt damals nichts mehr im Osten. Kurz nach dem Krieg hatte ich nämlich erfahren, dass mein Bruder daheim in Moskau verhaftet worden war. Niemand wusste, weshalb. Er war Journalist und starb später in der Nähe von Murmansk. Mein Bruder hat genau wie ich im Krieg gekämpft. Er war ein Held, aber das hat ihmnichts genutzt. Mich hat man degradiert, und ich wusste auch nicht, weshalb. Ich sollte nach Russland zurückversetzt werden.«
    Boris stöhnte schwer.
    »Ich hasse Russland.«
    Die Frau im Bett schnarchte leise.
    »Wir wissen, dass viele hochgestellte Nazis aus Berlin geflohen sind, einige über Österreich«, sagte der Professor. »Kannst du dich erinnern, einen Mann namens Erich von Orlepp verhaftet zu haben? Weißt du, wer das war?«
    Der Russe schüttelte den Kopf.
    »Ein deutscher Offizier. Reich. Wahrscheinlich trug er Zivil. Du hast ihn bei den Engländern abgeliefert, warum, weiß ich nicht. Dein Name stand auf den Übergabepapieren. Kannst du dich erinnern, den Briten einen deutschen Nazi-Funktionär übergeben zu haben?«
    »Nazi-Funktionär?«
    »Er war ein hohes Tier bei den Nazis. Erich von Orlepp.« »Meine Kompanie hat nicht so viele Leute verhaftet«, sagte der Russe.
    »Er könnte euch vielleicht etwas dafür geboten haben, ihn laufen zu lassen«, sagte

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