Coe, Jonathan
weibliche Stimme zu mir:
Bitte fahren sie weiter zu der
farbig unterlegten Straße, und die Streckenführung beginnt.
Es war nicht so sehr das, was
sie gesagt hatte, es war die Art, wie sie es gesagt hatte.
Ich vermute, die meisten
Menschen fühlen sich vom Aussehen eines anderen Menschen angezogen. Und dafür
bin ich natürlich genauso empfänglich wie die meisten. Aber das Erste, was ich
an einer Frau wirklich anziehend finde, ist - in neun von zehn Fällen - ihre
Stimme. Es war das Erste, was mir an Lindsay Ashworth aufgefallen war, als ich
sie kennengelernt hatte - ihr schöner schottischer Akzent. Und auch bei
Caroline, lange Zeit davor, hatten die flachen Vokale ihres Lancaster-Dialekts
es mir angetan, die so überhaupt nicht zu einer Frau passen wollten, die mir in
anderer Hinsicht so fein und elegant und großstädtisch vorgekommen war. Und
auch wenn das jetzt vielleicht lächerlich klingt, nicht einmal diese beiden
Frauen, weder Lindsay noch Caroline, hatten so attraktive Stimmen wie die, die
aus diesem Gerät kam. Das war schlicht und einfach eine wunderschöne Stimme.
Wahrscheinlich die schönste, die ich je gehört hatte. Bitte verlangt nicht von
mir, dass ich sie beschreibe. Inzwischen dürfte auch der letzte Leser bemerkt
haben, dass ich auf diesem Gebiet kein Talent habe. Es war eine britische
Stimme - und keine klassenlose, eher das, was man als BBC- oder Queen's English
bezeichnet. Ich glaube, es schwang eine leise Hochnäsigkeit mit, ein Unterton,
den man sogar als ein klein wenig herrisch bezeichnen könnte. Und gleichzeitig
klang sie gemessen und unendlich beruhigend. Es war unmöglich, sich diese
Stimme zornig vorzustellen. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass ihr Klang
einen nicht tröstete und ermutigte. Diese Stimme wollte dir versichern, dass
in der Welt alles in Ordnung war - zumindest in deiner Welt. Es war eine Stimme
ohne den leisesten Anflug von Ambivalenz oder Selbstzweifel: eine Stimme, der
man vertraute.
Ich schaltete das Auto in den
Drive-Modus und rollte vom Parkplatz. Als ich die Raststätte verließ, kam ich
an einem Schild vorbei, auf dem stand: »Vielen Dank für Ihren Besuch der
Raststätte Oxford. Ihr Besuch und ihr Kfz-Kennzeichen wurden auf CCTV registriert.« Ein weiteres
Indiz - wenn es dessen denn noch bedurfte - für meinen Traum, dass ich doch
nicht so allein war, wie ich dachte.
»Was sagst du dazu?«, hörte
ich mich die Stimme meiner elektronischen Landkarte fragen. »Ganz schön
teuflisch, oder?«
Und sie antwortete:
Nehmen Sie die nächste
Ausfahrt. Dann fahren Sie nach zweihundert Metern im Kreisverkehr geradeaus
weiter.
Der Wunsch, mit Lindsay zu
sprechen, hatte sich für mich erst einmal erledigt.
Ich behielt mein langsames Tempo bei, versuchte,
Treibstoff zu sparen, und so dauerte es weitere anderthalb Stunden, bis ich die
Anschlussstelle 1 auf der M42 erreicht hatte.
In achthundert Metern nehmen
Sie die Ausfahrt, dann biegen Sie links ab, Richtung Birmingham Süd.
Es war das erste Mal seit zehn
Minuten, dass sie zu mir sprach. Ich hatte inzwischen herausbekommen, dass ich
ihre Stimme durch einen Druck auf die MAP -Taste an meinem Lenkrad jederzeit
abrufen konnte. Wenn man das tat, befahl sie einem in der Regel, das zu tun,
was man gerade tat. Also drückte ich alle paar Minuten auf die Taste, und sie
sagte zu mir: »Folgen Sie dem Straßenverlauf.« Ich hörte kein Radio. Ich
hatte es eine Zeitlang mit Radio 2, dann mit Radio 4 versucht, aber mir war
nicht danach, mir von anderen Menschen die Ohren vollplappern zu lassen. Ich
wollte mit meinen Gedanken allein sein, und mit Emmas Stimme, wann immer ich Lust
hatte, sie zu hören.
Ach - habe ich schon erwähnt,
dass ich sie Emma getauft hatte? Den größten Teil der vergangenen Stunde hatte
ich mir den Kopf über einen Namen für sie zerbrochen. Schließlich entschied ich
mich für Emma, weil es immer einer meiner Lieblingsnamen gewesen war.
Vielleicht war es auch die Erinnerung an die Lektüre von Jane Austens Roman in
der Oberstufe: Ich hatte das Buch (eins von Carolines Lieblingsbüchern) nicht
ausstehen können und in der Prüfung lediglich ein D bekommen, aber aus irgendeinem
Grund war der Name der Hauptfigur mir als eine Art Symbol für Kultur und
Klugheit im Gedächtnis geblieben: Außerdem habe ich eine kleine Schwäche für
die Schauspielerin Emma Thompson - sie rührt von einer etwas älteren Zeit her,
den späten Achtziger Jahren, als sie noch so burschikos aussah, in diesem
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