Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
Vom Netzwerk:
danke.«
    »Philip ist in Malaysia, sie
sagt, sie bestellt einen Tisch in einem Restaurant in der Stadt, dann könnt ihr
ungestört reden. Die beiden Jungs sind im Internat.«
    »Ich bin wirklich sehr
dankbar, aber -«
    »Ah!« Mr Byrne sprang auf. »Da
fällt mir gerade etwas ein.«
    Er verließ den Raum, während
ich hastig versuchte, die neue Situation zu verdauen. Das würde meine Anreise
um einen weiteren Tag verlängern, ich könnte erst am Donnerstagabend von
Aberdeen übersetzen und wäre Freitagmorgen auf den Shetlands. War das ein
Problem? Nicht unbedingt. Die drei anderen Vertreter hätten ihr Ziel dann
sicher längst erreicht und wären lange vor mir zu Hause, aber warum sollte mich
das kümmern? Es war ja kein Rennen. Und wenn doch, konnte ich es sowieso nicht
gewinnen. Ich war schließlich nicht der Robin Knox-Johnston oder Bernard
Moitessier dieses Szenarios. Und immerhin war ich im Begriff, den anderen Preis
zu gewinnen - den für den geringsten Benzinverbrauch.
    »Doch, das ... das wäre
fantastisch. Ja, warum nicht? Ich würde Alison sehr gern wiedersehen.«
    »Und sie dich sicher auch.
Perfekt. Dann ist es also abgemacht.«
    Sie strahlte mich glückselig
an und bot mir noch einen Scone an. In einer Fensterscheibe des Wintergartens
sah ich mein Spiegelbild, das sich dem angebotenen Teller entgegenbeugte.
Draußen war es fast dunkel. Ein trüber Abend lag vor mir, allein in meinem
Zimmer im Quality Hotel Premier Inn, aber ich brachte es nicht über mich, Mrs
Byrnes Angebot eines Abendessens in ihrem Haus anzunehmen. Es gab für mich
immer noch ein Limit, was die Quantität menschlicher Gesellschaft an einem Tag
betraf. Ich aß schweigend meinen Scone, während Mrs Byrne mit sanfter Stimme
auf mich einredete, mich über Freunde und Freundinnen von ihr ins Bild setzte,
die ich entweder nicht kannte oder längst vergessen hatte. Nach ein paar
Minuten kehrte Mr Byrnes zurück, schnaufend und keuchend mit einem schweren
Pappkarton in den Armen.
    »Hier!«, sagte er und ließ ihn
mit triumphaler Miene auf den Fußboden des Wintergartens plumpsen.
    »Ach Donald!«, stöhnte seine
Frau. »Was machst du denn da?«
    »Hab ich vom Dachboden
geholt«, erklärte er.
    »Ich weiß, wo du's her hast.
Was willst du hier unten damit?«
    »Du hast gesagt, du könntest
nicht mehr dagegen angucken.«
    »Das stimmt. Deswegen hab ich
es ja auf den Dachboden geschafft. Und warum hast du's wieder runtergeholt?«
    »Weil es nicht auf unseren
Dachboden gehört. Wir haben genug Gerumpel da oben rumstehen. Es gehört
Alison.«
    »Ich weiß, dass es Alison
gehört. Ich hab sie schon Hundert Mal gebeten, es endlich mitzunehmen, und
jedes Mal vergisst sie es wieder.«
    »Sie vergisst es nicht. Sie will es da oben stehen
lassen.«
    »Meinetwegen, kein Grund zu streiten. Und jetzt?«
    »Max kann es ihr mitbringen.«
    »Max?«
    »Er fährt sie besuchen, oder?
Da kann er es doch mitnehmen.«
    »Du machst wohl Witze.«
    Ich betrachtete den Karton,
der so groß war, dass Mr Byrne ihn nur mit Mühe hatte tragen können, und der so
randvoll mit Papieren war, dass sie oben rauszurutschen drohten. Aber in meinen
Kofferraum passten sie natürlich problemlos hinein, und ich sah keinen Grund,
sie nicht mitzunehmen.
    »Nein, das ist kein Problem«,
sagte ich. »Was ist da drin?«
    »Alisons gesammelte
Seminararbeiten. So um die dreißig Jahre alt, vermute ich mal.«
    »Wir sollten das Zeug
wegschmeißen«, sagte Mrs Byrne. »Verbrennen.«
    »Das können wir nicht machen«,
meinte ihr Mann. »Sie hat Blut und Wasser dafür geschwitzt.«
    »Und was hat es ihr gebracht?
Nicht mal ihren Abschluss hat sie gemacht.«
    »Sue, du wirst dich erinnern,
dass sie sehr wohl ihren Abschluss gemacht hat. Sie hat nie praktiziert. Das
ist nicht dasselbe. Und sie könnte immer noch anfangen, jetzt, wo die Kinder
fast erwachsen sind.«
    »Praktiziert als was?«, fragte
ich. Es war so lange her, ich konnte mich nicht einmal erinnern, was Alison studiert
hatte.
    »Psychologie«, sagte Mr Byrne.
»Sie wollte immer als Therapeutin arbeiten.«
    Es leises Glöckchen klingelte.
Aber es erinnerte mich nur daran, dass ich Alison kaum kannte und so gut wie
keine gemeinsame Geschichte mit ihr hatte. Wollte ich tatsächlich den ganzen
Mittwochabend mit einer so gut wie fremden Frau verbringen? Aber jetzt konnte
ich nicht mehr zurückrudern. Mr und Mrs Byrne waren total begeistert von der
Idee - die eine offensichtlich aus sentimentalen Gründen, der andere, weil er

Weitere Kostenlose Bücher