Coins - Die Spur des Zorns
Achseln. „Keine Ahnung. Vielleicht ist er bei der Beschattung des Babylon den Typen unangenehm aufgefallen. Möglicherweise hat er sich aufgeplustert, geblufft, Dinge zu wissen, und die haben’s ihm geglaubt. Vielleicht weiß er auch Dinge, von denen wir nichts wissen. Ich hab‘ keine Ahnung.“
„Sie müssen ihn warnen! Gewiss, er ist ein Arsch, aber Sie können ihn doch nicht ins Messer laufen lassen!“
„Warnen? Ich hab‘ Ihnen doch eben gesagt, dass solche Informationen dorthin getragen werden, wo sie bei Gott nicht hingehören! Das Netzwerk weiß nicht, was wir inzwischen wissen. Das ist gut so, und ich bin daran interessiert, dass dies so bleibt! Ich hänge nämlich am Leben, Professor! Und noch etwas: Der Besitzer dieses Smartphones ist tot. Er kann Schottky nicht mehr gefährlich werden. Die Aufgabe besteht darin, zu verhindern, dass Dritte mit derselben Liste im Gepäck dasselbe Ziel wie der Kasache verfolgen. Und das kann ich nur, wenn ich nicht in meiner Arbeit behindert werde. Ich will das Netzwerk aushebeln, Professor! Ich will die Mörder Ihrer Frau zur Strecke bringen! Das ist das Ziel! Ist das bei Ihnen endlich angekommen?“
Pohl nickte heftig. „Natürlich! Es sind diese Wechselwirkungen, die mir zu schaffen machen. Ich erkenne sie teilweise nicht, mir fehlt da die Routine …“
„Weiß ich doch, Professor. Lassen Sie mich das letzte Foto abrufen, dann sind wir mit der Datei durch. Bei diesem Foto hoffe ich auf Ihre Hilfe. Schauen Sie mal! Die Lady sagt mir nichts.“
Pohl blickte auf das Display … und erstarrte. Er spürte, wie seine Knie zu zittern begannen. Was war er doch für ein Vollidiot, für ein grenzenloser Egoist! Die junge Frau auf dem Display war Ellen, die Lesbe aus Charleroi! Ihr strahlendes Lächeln auf dem Foto schnitt tief in sein Gemüt, brannte darin schmerzhafte Male. So eine hübsche, lebensfrohe Frau! Er hatte sie, besessen von Rachegelüsten, vor seinen Karren gespannt, rück-sichtslos in tödliche Gefahr gebracht!
„Nun? Kennen Sie die Frau?“
Pohl fuhr zusammen, fühlte sich ertappt. Hatte seine Miene ihn verraten? Ohne Schöller anzuschauen schüttelte er den Kopf. „Nein, die Frau ist mir unbekannt.“
„Schauen Sie das Bild genau an! Vielleicht ist sie Ihnen irgendwo begegnet. Sie ist bildhübsch, eine solche Begegnung vergisst man nicht.“
Pohl stierte auf das Display, bis sich die Konturen des Gesichts auflösten. „Ich kenne sie wirklich nicht.“
„Schade. Ich hatte große Hoffnung in Sie gesetzt. Sie gehört nicht zu den Fahndern, also dürfte sie unliebsame Zeugin sein. Ein Gespräch mit ihr hätte uns voranbringen können! Denken Sie noch einmal nach!“
Pohl spürte die aufkommende Hitze in seinem Körper – Stress pur! Ein Gespräch mit Ellen? Um Gotteswillen, nur das nicht! Sein wichtigstes Alibi geriete in Gefahr! Warum fasste Schöller so hartnäckig nach? Typisch für ihn – hatte er sich einmal in die Wade seines Opfers verbissen, ließ er es nicht mehr los. Er durfte ihm die Wade nicht länger hinhalten, er musste dem Spiel ein Ende bereiten, bevor es außer Kontrolle geriete! Er blickte Schöller an, das erste Mal, seitdem Ellens Bild auf dem Display erschien. „Tut mir leid, ich kann Ihnen wirklich nicht helfen.“
„Schauen Sie sich mal das Passfoto ganz genau an! Ich meine die Technik des Fotos. Das ist kein deutsches Design! Die Frau könnte zwar Deutsche sein, aber genau so gut aus einem anderen nord- oder westeuropäischen Land stammen, zum Beispiel aus Belgien!“
Pohl stockte der Atem. Was wusste Schöller? Er musste sich zusammen-reißen, durfte jetzt keinen Fehler begehen. Er musste da durch! „Wieso Belgien?“
„Nun, Sie haben in Belgien den Hinweis auf das Pink Horse erhalten. Ich selbst bekam zwei wichtige Informationen per SMS ebenfalls aus Belgien. Sie erinnern sich? Sie waren in meinem Büro, als sie eintrafen. Die eine wies auf die Henrietta im Sassnitzer Hafen hin, die andere bezog sich auf Sie. Angeblich waren Sie in Gefahr! Der Informant musste ein Insider sein. Diese Frau hier …“ – er wies auf das Display – „… könnte es möglicherweise gewesen sein.“
Pohl kostete es erhebliche Anstrengung, Schöllers prüfendem Blick stand zu halten. Er hatte das Gefühl, als läse der Hauptkommissar in ihm wie in einem geöffneten Buch. Wie nah war dieser Fuchs der Realität! Ein kleiner Fehler, und das ganze so sorgsam entwickelte Alibigeflecht bräche wie ein Kartenhaus in sich zusammen!
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