Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
hob meinen kleinen Finger und sagte: »Vergiss nicht, Lou, du und ich, wir sind Rispolis. Wir halten auch dann zusammen, wenn wir nicht zusammen sind. Alles oder nichts.« Daraufhin lächelte er, bog seinen kleinen Finger um meinen, und so hatten wir es seitdem immer gemacht: Wenn einer von uns moralische Unterstützung brauchte, dann erinnerte ihn der andere daran, dass wir uns immer den Rücken stärken werden. Nun schlang ich meinen kleinen Finger um seinen, dann drehte ich mich um und ging durch die zweiflüglige Schwingtür.
Mein Dad, mein Onkel und mein Grandpa arbeiteten Tag für Tag zusammen in der Backstube von Rispoli & Sons und fertigten die ausgefallenen Backwaren, die draußen auf dem Neonschild beworben wurden. Für sie war es normal, überall voller Mehl und Zuckerguss zu sein, auf den Schürzen, auf den Händen und auf den Schuhen. Dass sie alle einmal geboxt hatten (auch Grandpa Enzo, damals in den Fünfzigerjahren), erkannte man noch immer daran, dass sie sich wie Balletttänzer bewegten, stets miteinander im Einklang und genau wissend, wo sich die anderen gerade befanden. Mein Onkel rührte literweise dünnen Teig zum Ausbacken an und knetete in großen Schüsseln den festeren Teig für die Kekse. Mein Großvater verkünstelte sich an aufwendigen Torten, komplizierten, mehrstöckigen Gebilden zu feierlichen Anlässen wie Hochzeiten, aber auch Torten für jeden Tag. Die Böden wurden allesamt in Backformen mit einem deutlich erkennbaren R gebacken, sodass auf jeder Torte oben der Anfangsbuchstabe unserer Familie zu erkennen war. Mein Vater hatte die Aufgabe, den Teig für die verschiedensten Kekssorten auszurollen, zu formen und auszustechen. Gemeinsam verzierten sie winziges Fruchtplundergebäck mit Schlagsahne, malten Gesichter auf die Köpfe der Lebkuchenmänner und schoben dicke Bleche mit Schoko-Brownies in den riesigen, feurige Hitze ausstrahlenden Ofen. Er war in die Wand eingemauert, mit weiß glasierten Kacheln verkleidet und wurde mit einer dicken Eisentür geschlossen, auf der in Großbuchstaben VULCAN zu lesen war. Der Ofen war so groß, dass ich ohne Weiteres hineingepasst hätte, wenn ich mich ein wenig duckte. Als ich nun in die Küche trat, schob mein Vater gerade einige Bleche mit Karamellkeksen hinein. Um zu zeigen, wie sehr ich gerade zu leiden hatte, seufzte ich theatralisch und sagte: »Die haben vielleicht Glück, diese Kekse. Kann ich nicht auch mit rein?«
»Was?«, fragte mein Vater und schloss die schwere Tür mit einem Krachen.
» Cosa ?«, fragte mein Großvater.
»Dass du mir niemals, wirklich niemals in diesen Ofen steigst!«, rief mein Vater.
» Non mai! Niemals!«, wiederholte mein Grandpa und schlug mit der Faust auf die lange Arbeitsfläche aus Edelstahl, dass eine kleine Mehlwolke aufstieg.
Überrascht von ihrer heftigen Reaktion machte ich einen Schritt zurück. »Das war doch nur ein Scherz. Ich habe … einfach nur einen schlechten Tag.«
»Natürlich war das ein Scherz«, sagte Onkel Buddy, der sich die Hände an der Schürze abwischte und sie mir dann auf die Schultern legte. Dann lächelte er mich auf seine typische Weise an. »Oder glaubt ihr etwa, sie wäre so blöd, in dieses Ding hineinzuklettern?«
Mein Dad sah mich an, und rückblickend erinnere ich mich vor allem daran, wie traurig er aussah. Er und ich haben ähnliche Augen, sie sind blau mit kleinen, schimmernden Goldpünktchen, und seine schienen gerade etwas zu sehen, das weit von dem Hier und Jetzt entfernt war. Leise sagte er: »Nein, Buddy, ich denke, sie ist das klügste Mädchen, das ich kenne.«
» Nostra ragazza intelligente! Unser kluges Mädchen!«, stimmte ihm mein Großvater zu.
Onkel Buddy sah erst Grandpa und dann meinen Vater an und war offenbar über ihren Ausbruch ebenso verblüfft wie ich. Er lächelte noch immer, aber es lag ein Hauch von Misstrauen in seiner Stimme, als er sagte: »Bilde ich mir das ein, oder läuft hier irgendwas Komisches?«
»Es tut mir leid, Sara Jane. Ich wollte dich nicht anschreien …«, sagte mein Vater und ignorierte Buddys Frage. Aber ich war ein wenig verletzt, und deswegen wandte ich mich an Onkel Buddy.
»Kann ich mit dir reden?«, fragte ich ihn. »Allein?«
Onkel Buddy sah meinen Vater an, der seufzte und die Achseln zuckte, dann legte er seine Schürze ab. »Klar, sicher. Gehen wir raus.« Es war am frühen Abend, es war mild und der Sommerhimmel färbte sich orange, als ich ihm von Walters Kuss und Mandis Beschimpfung erzählte.
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