Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ohnehin schon an ihm nagten. Dann erzählte sie ihm, wie sehr sie ihn liebte und dass er für »Gretalein« (sie benutzte so eine komische, ätzende Babysprache, wenn sie allein waren) immer ebenso schlau und fähig sein würde wie sein Bruder Anthony. Es gelang ihr glänzend, einen Keil zwischen eine sehr eng beisammenstehende Gruppe (uns) und einen Einzelnen (meinen dummen Onkel) zu treiben, bis wir uns gezwungen sahen, ihre Gesellschaft hinzunehmen, weil wir ihn nicht ausschließen wollten. In Onkel Buddys Augen konnte sie nichts falsch machen. Nach meinem Dafürhalten war sie nicht in der Lage, ein Nein oder auch nur ein Vielleicht zu ertragen, ohne anschließend eine Bombe im Zimmer hochgehen zu lassen. An einem Sonntag nach einem langen Mittagessen mit der Familie kam ich zufällig an Lous Zimmer vorbei, als ich mitbekam, wie sie mit meinem Bruder sprach. Ich blieb stehen und hörte sie säuseln: »Komm schon, Lou, sag es nur einmal, nur für mich. Ich mache dir da ein sehr nettes Angebot. Du solltest dich geehrt fühlen.«
Auf seine übliche, höfliche Weise erwiderte mein Bruder: »Nein, danke.«
Und dann ertönte Gretas Stimme wieder, die nun gar nicht höflich, sondern aggressiv und spöttisch wiederholte: » Nein, danke. Na gut, du Oberschlauberger, aber du gewöhnst dich besser schon mal dran. Weil es nämlich so sein wird. Also sag es jetzt gefälligst!«
»Was soll er sagen?«, fragte ich und trat ins Zimmer. Greta fuhr herum und warf mir diesen Blick zu, den sie für mich reserviert hatte und der an eine Gartenschlange erinnerte, die von einem Frettchen in die Ecke getrieben worden war.
Lou sagte: »Ich soll Tante zu ihr sagen. Tante Greta.«
»Deswegen setzen Sie ihn unter Druck?« Ich trat vor, Greta stieß gegen Lous Schreibtisch, und unsere Augen trafen sich. »Vielleicht nennt er Sie lieber so, wie ich Sie auch nenne, nämlich eine blöde K…«
»Sara Jane«, unterbrach mich Lou. »Vergiss es. Es spielt keine Rolle.«
»Ach, zur Hölle mit euch beiden«, fauchte Greta und rauschte aus dem Zimmer.
Als sie verschwunden war, klopfte Lou auf sein Bett, und ich setzte mich neben ihn. Er nickte zu dem Einstein-Poster hinüber, das an der Wand hing. »E ist gleich m mal c zum Quadrat. Das ist sein bekanntestes Zitat. Aber es gibt da noch ein anderes, das ich viel besser begreife.«
»Und wie lautet das?«
»›Intellektuelles Wachstum sollte mit der Geburt beginnen und erst mit dem Tod enden‹«, sagte er mit einem Funkeln in den Augen. »In Gretas Fall hat es mit vier Jahren aufgehört. Verschwende deine Zeit nicht an sie. Da könnte man genauso gut mit einem Erdhörnchen debattieren.«
»Mit Schwachköpfen kann man nicht streiten«, sagte ich. »Hat mir mal jemand gesagt.«
»Genau. Auf der anderen Seite muss man zugeben, dass sie sehr zielgerichtet vorgeht.«
Lou hatte recht, wie immer.
Ein paar Monate nach meinem fünfzehnten Geburtstag wurde Greta ein offizielles Mitglied der Rispoli-Familie. Sie und Onkel Buddy heirateten in Las Vegas.
Er rief meinen Vater vom Flughafen aus an, um ihm die Nachricht zu verkünden, und als mein Dad meiner Mom davon erzählte, seufzte sie und sagte: »Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen sie wohl in der Familie willkommen heißen.«
»Sie willkommen heißen?«, fragte mein Dad. »Sie tut so, als ob ihr die Familie gehört !«
Damit bezog sich Dad darauf, dass Greta ständig in der Bäckerei aufkreuzte, ihre Nase dort in Dinge steckte, die sie nichts angingen, und zu allem etwas zu sagen hatte, ob ihre Meinung erwünscht war oder nicht. Sie guckte Großvater Enzo bei der Arbeit über die Schulter und meckerte dann an der Rundung einer Zuckerguss-Schleife herum, die er gerade auf eine Hochzeitstorte gespritzt hatte. Sie blätterte die Kassenbons durch, die Grandma Donatella auf einen Zettelspießer neben der Kasse steckte, oder knabberte an einem der frisch gebackenen Pfefferkuchenmänner meines Vaters und grübelte laut darüber nach, wieso der so süß war. Aber am schlimmsten war es, wie sie ihre weiblichen Reize einsetzte, um Onkel Buddy unter ihre Knute zu bekommen. Sie wechselte ständig die Rollen, von der Jungfrau in Nöten, die er vor uns gehässigen, gemeinen Rispolis beschützen musste, zur hilflosen Barbie mit einer Schwäche für ältere Herrn bis hin zur wütenden Mutter, die ihr ungezogener Sohn schwer enttäuscht hatte. Mein Onkel reagierte auf diese Scharade wie ein angeleinter Hund, der darum bettelte, Gretas Befehlen zu
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