Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ausgehungerter Hai. Und wenn er dazu in die richtige Stimmung kommt, wird er ganz kribblig und aufgedreht, seine Haut rötet sich, und er fängt an zu kichern – ein unheimliches, ersticktes Lachen wie von einer gewürgten Hyäne hallt dann durch die ganze Schule. Jedes Mal, wenn ich es höre, weiß ich, dass gerade wieder irgendein armes Würstchen von ihm malträtiert wird. Meistens handelt es sich dabei um Doug Stuffins.
Aber Doug ist irgendwie der Wahnsinn.
Er nimmt das alles völlig ungerührt hin und zeigt keinerlei Gefühlsregung.
Sogar, wenn Billy ihn beschimpft (Fettsack, Freak, Loser) oder ihn in den Bauch piekst (»fühlt sich ja an wie Wackelpudding, ey!«) oder ihm den Laptop wegreißt, bleibt Doug ganz ruhig stehen und guckt, als wäre er gerade ganz woanders. Diese kühle Gelassenheit regt Bully nur noch mehr auf, und dann schießt er sich meist auf Dougs Filmbesessenheit ein. Seine Beleidigungen sind schwach und dämlich, aber sie treffen Doug doch da, wo es am meisten wehtut, und das ist ja die Stärke dieser Typen, die andere Menschen gerne quälen – sie finden die empfindlichen Punkte der anderen und stellen sie dann vor aller Welt bloß. Bully spuckt seine blöden Kommentare aus und lacht sein dämliches Hyänenlachen, während Doug bewegungslos verharrt und darauf wartet, dass es vorbei ist.
Wenn Billy dann endlich langweilig wird und er sich verzieht, schnappt sich Doug sein Laptop und sucht sich einen ruhigen Platz zum Schreiben.
Vor ein paar Wochen entdeckte ich ihn unter der alten Eiche auf dem südlichen Gelände der Fep Prep, und seine dicken Finger flogen in Rekordgeschwindigkeit über die Tasten.
Ich setzte mich schweigend neben ihn und legte dann eine Hand auf seine Schulter, und er blinzelte in die Sonne, ohne sich zu mir umzuwenden.
»Sara Jane«, sagte er leise. »Willst du mit mir auf den Frühlingsball gehen?«
Abgesehen vom Seilklettern im Sportunterricht gab es für Doug vermutlich keine quälendere Vorstellung als eine Tanzveranstaltung an unserer Highschool. Er wusste, dass ich gern gegangen wäre, und er war bereit, das ultimative Opfer für mich zu bringen – sich in eine enge Anzughose zu quetschen, noch dazu mit reingestecktem Hemd, um dann in der Turnhalle ein paar Stunden Hip-Hop über sich ergehen zu lassen. Ich knuffte ihn gegen den Arm und erklärte, ich wüsste, dass er nicht wirklich gehen wollte. Er errötete und grinste: »Tja, niemand ist vollkommen.«
Ich dachte kurz nach. » Boulevard der Dämmerung ?«
» Manche mögen’s heiß «, verbesserte er, hochzufrieden mit seinem kryptischen Filmzitat, bevor er sich schnaufend aufrappelte und dann pfeifend davonging.
Ich sah ihm nach und war beeindruckt, dass er, obwohl er von Bully The Kid derart drangsaliert wurde, immer noch in der Lage war … tja, auf alles zu pfeifen.
Ich pfiff in meiner trostlosen, partnerlosen Situation inzwischen gar nicht mehr.
Ich summte auch nicht mehr oder sang.
Auf meinem iPod liefen nur noch die traurigsten und selbstmitleidigsten Songs.
Das Gemeine daran ist, dass ich normalerweise nur Verachtung übrig habe für die vielen Bücher, Serien oder Filme, in denen Menschen meines Alters so dargestellt werden, als ob sie alle und andauernd die schwersten Teenagernöte durchzustehen hätten. Wenn sie reich sind, dann sind sie deprimierte, reiche Kids, wenn sie Vampire sind, dann sind sie deprimierte, junge Vampire, wenn sie nach irgendeiner Apokalypse leben, dann sind sie deprimierte Teenies, die nach … na, ihr wisst schon. Mich nervt daran vor allem, dass die wenigsten Jugendlichen, die ich kenne, Zeit für so viel Deprimiertsein haben. Wir reiben uns dabei auf, unsere Hausaufgaben zu erledigen, irgendwelche Classic Movie Clubs an der Schule zu gründen, nebenbei noch irgendwo zu arbeiten oder einfach nur … wie sagt man … irgendwie mit einem Leben zurechtzukommen, in dem man so vielen Erwartungen gegenübersteht. Doug zufolge gibt es an der Fep Prep drei oder vier Kids, die sich so große Sorgen um ihre Zukunft gemacht haben, bis sie völlig erschöpft waren, durchdrehten und Pillen verschrieben bekamen, um sich wieder halbwegs zu fangen.
Wir leben nicht das Leben, das unsere Eltern kannten, als sie so alt waren wie wir.
Damals war das Leben noch einfacher, langsamer und analog.
Heute ist das Leben kompliziert, konkurrenzbetont und digital.
Meine Generation ist klüger, arbeitet härter, ist angespannter und vernetzter als alle, die ihr vorangingen. Das ist nicht
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