Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Boulevard, sah kurz nach Harry, ob er es hinten auf dem Sitz gemütlich hatte, und betrat das Lokal, das selbst um diese Zeit, da die meisten Bewohner Chicagos noch nicht einmal ein Auge geöffnet hatten, bereits gut besucht war. Der Mineralwasserspender am Eingang blubberte wie immer, es roch nach knusprigem Schinken und griechischem Toast wie immer, im Hintergrund sorgten die morgendlichen Unterhaltungen für ein gleichbleibendes Summen wie immer: Es waren kleine Dinge wie diese, die mir das Gefühl gaben, mit meiner Familie verbunden zu sein. Ich setzte mich an die Theke und bestellte mir einen Kaffee. Die Kellnerin zögerte kurz, als sie den dampfenden Becher vor mir hinstellte, sah kurz auf ihre Uhr und dann wieder in mein Gesicht. Der Kaffeeduft stieg mir heiß und beißend in die Nase, und ich nahm einen Schluck von dem starken Gebräu. Dabei fiel mir auf, dass die Kellnerin ihren Blick zur Seite wandte und dabei die Augenbrauen hob. Ohne den Kopf zu wenden, erspähte ich seitlich von mir einen Polizisten in blauer Uniform, der auch gerade seinen Kaffee schlürfte und den Wink der Kellnerin verstanden hatte, mich einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er mich einer gründlichen Musterung unterzog. Nur das nachdenkliche Zucken des dicken, grauen Walrossbarts ließ erkennen, dass ihm nicht gefiel, was er sah, und mir wurde auch klar, warum nicht – da saß eine Sechzehnjährige frühmorgens um sechs allein in einem Diner, nach mehr als vierundzwanzig Stunden im Krähennest ohne Dusche und nach einer richtig ordentlichen Tracht Prügel, trug einen uralten Trainingsanzug, hatte das Gesicht voller blauer Flecke und noch dazu eine Nase, die schon allein wegen ihrer unverhältnismäßigen Größe nach Ärger aussah. In dieser Situation unauffällig zu wirken, war schlicht nicht möglich. Wegen jedem nervösen Handgriff fühlte ich mich schuldig, was dazu führte, dass ich mich noch auffälliger verhielt und noch nervöser herumfummelte. Zwar traute ich mich nicht, zu dem Polizisten hinüberzusehen, aber ich merkte, dass er eine Nummer in ein Handy eintippte.
Dann murmelte er etwas in sein Telefon, während er mich anstarrte.
Und ich hatte plötzlich das Gefühl, als ob alle Augen in dem Lokal auf mich gerichtet waren.
Plötzlich sah es so aus, als ob der ganze Laden voller Cops war.
In meinem Bauch kribbelte es, als ich mich umsah. An jedem Tisch und in jeder Nische saßen ein oder zwei massige Kerle mit kurz geschorenem Haar oder ein paar robust aussehende Frauen, deren Gesichtsausdruck erkennen ließ, dass sie keinen Spaß verstanden. Sie alle trugen Zivilkleidung, weil sie nicht als Cops erkannt werden wollten, aber das hatte den genau gegenteiligen Effekt. Ich war mir sicher, dass sie mich ansahen, oder dass sie ganz bewusst wegsahen, oder dass sie versuchten, so zu tun, als ob sie mich nicht ansahen. Vielleicht war mir Detective Smelt die ganze Zeit auf den Fersen gewesen und hatte nun ihre Leute hierher geschickt. Vielleicht warteten sie nur auf den richtigen Moment zum Zuschlagen.
Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, versuchte mich zu beruhigen, hörte dann aber auf mein Bauchgefühl.
Und das sagte mir, vergiss das mit dem Beruhigen, guck dir lieber an, was hier läuft. Wenn du nicht ganz schnell handelst, wirst du das Diner in Handschellen verlassen.
Der Polizist beugte sich zu mir herüber und strich sich über seinen Schnurrbart. Noch bevor er etwas sagen konnte, sprang ich auf und rannte zur Toilette. Ich riegelte mich in der letzten Kabine ein und kaute an meinem Daumennagel – es gab keine Fenster, aus denen ich hätte klettern können, und ein schneller Sprint zur Vordertür würde vermutlich nur dazu führen, dass ich von einer ganzen Horde Cops in die Mangel genommen wurde. Mir war, als ob sich die Wände um mich zusammenschoben, während draußen vor der Tür mein Schicksal auf mich lauerte. Verzweifelt barg ich den Kopf in meinen Händen und starrte auf den Fußboden, während ich über einen Ausweg nachgrübelte.
Und da war er, der Ausweg. Auf dem Boden, zwischen meinen Füßen.
Ich hob ein Streichholzbriefchen auf, auch wenn meine Eltern mir immer eingeschärft hatten, dass man nicht mit dem Feuer spielen darf.
Aber ich spielte ja auch nicht – mir war todernst.
Ich zählte bis drei, dann trat ich aus der Kabine und machte mich schnell an die Arbeit; ich riss Papierhandtücher erst aus dem einen Spender und dann auch aus dem anderen, bis beide
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