Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
ähnlich verhielt wie mit dem Boxen: Solange man nicht lernte, sein Talent zu kontrollieren und richtig einzusetzen, nützte es nicht viel.
Tonlos sprach ich die Worte und fühlte ihre Wahrheit.
Ghiaccio furioso .
Grandpa Enzo und mein Dad hatten es auch gespürt.
Das Notizbuch verriet, dass sie beide zu ihrer Zeit als Vermittler fungierten, um Streitigkeiten innerhalb des Syndikats zu schlichten. Grandpa Enzo übernahm den Posten, als Nunzio 1963 starb, in einer Zeit, da die Unterwelt in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Ein New Yorker Gangster namens Joe Valachi hatte versucht, der Todesstrafe zu entgehen, indem er vor dem amerikanischen Kongress auspackte und die geheime, innere Struktur der Mafia offenlegte. Er berichtete von Schutzgelderpressung, Heroinhandel und zahllosen Morden. Bevor er seine Aussage machte, hatte die Öffentlichkeit noch daran gezweifelt, dass es das organisierte Verbrechen wirklich gab, aber danach war das ganze schmutzige Geschäft offen aufgedeckt. Valachi hatte in den Augen der Mafiosi eine Todsünde begangen – er hatte gesungen. Im ganzen Land gerieten Gangster ins Visier der Behörden. Das Syndikat zog sich weiter ins Dunkel zurück, und nun, da es immer härter wurde, auf unehrliche Weise sein Geld zu verdienen, wurden die Gangster untereinander gieriger und gewalttätiger. Grandpa Enzos Aufgabe wurde immer schwieriger, und das machte ihm ungewöhnlich zu schaffen.
Er bekam Zweifel.
Einige von ihnen kritzelte er im Notizbuch an den Rand.
Gedanken über Moral, über »Wahrheit kontra Loyalität«, und »die Zukunft meiner Familie«.
Grandpa erkannte, dass seine Rolle im Syndikat auch die Kinder gefährden könnte, die er eines Tages haben würde, und das brachte ihn ins Grübeln. Er war noch jung, und er dachte darüber nach auszusteigen, aber das war nicht möglich – wenn man einmal dazugehörte, dann blieb man sein Leben lang dabei. Die einzigen Auswege waren der Tod oder die Kooperation mit den Behörden, die dann versuchen konnten, einen zu beschützen. Die Einstellung des Syndikats gegenüber Informanten, den sogenannten »Ratten«, ist in einem Zeitungsartikel von 1969 dokumentiert, der unten an eine Seite geklebt war und der von der bevorstehenden Hinrichtung des verurteilten Auftragsmörders Eddie »Exterminator« O’Hara berichtete: Er hatte ein Syndikatsmitglied, dessen Frau und Kinder brutal enthauptet und wurde mit den Worten zitiert: »Der Dreckskerl war eine Ratte, und Ratten haben zahllose Nachkommen. Es nützt nichts, wenn man nur eine totschlägt, man muss die ganze verdammte Brut ausrotten.« Mit anderen Worten, es war der Gesundheit eher abträglich, wenn man auspackte, und daher machte mein Großvater eben weiter. Das Notizbuch ließ keinen Zweifel daran, dass mein Vater und Onkel von seiner Rolle im Syndikat wussten und dass der Weg meines Vaters von Kindheit an vorgezeichnet war: Er sollte eines Tages dieselbe Rolle übernehmen. Anders Onkel Buddy. Ganz offensichtlich besaß er die ghiaccio furioso nicht, sondern allenfalls eine treue Seele und die Fähigkeit, einstecken zu können. Dass es mit der treuen Seele auch nicht weit her war, hatte ich ja inzwischen auf die harte Tour erfahren.
Schon früh hatten mein Grandpa und mein Dad Geheimnisse vor Onkel Buddy. Das Notizbuch war dafür ein gutes Beispiel.
Mein Onkel glaubte, dass sie ihn ausschlossen, und er begann sie dafür zu hassen.
Dabei taten sie es nur, um ihn vor dem Syndikat zu schützen, weil sie ihn liebten.
Die Sorge meines Vaters um seinen Bruder offenbarte sich in einem an mich gerichteten Brief, der zusammengefaltet im Notizbuch lag. Dem Datum nach schrieb er ihn ein Jahr vor seinem Verschwinden, was bedeutet, dass er schon lange darüber nachgedacht hatte, mir alles über unsere Familie zu erzählen. Er ist in einem entschuldigenden, vagen Ton gehalten – Dad schrieb, dass er bedauere, was ich nun wahrscheinlich aus dem Notizbuch erfahren hatte, aber er könne sich nicht klarer äußern, weil er fürchtete, dass der Brief in falsche Hände gelangen könnte. Wie er berichtete, übernahm er den Posten als Vermittler schon vor dem Tod meines Großvaters (ich hatte mich schon gefragt, wieso er so oft noch spätabends arbeitete – wer backt schon mitten in der Nacht noch Kekse?), und er ließ auch durchblicken, dass er und meine Mom einen Plan fassten, »die Familie zu befreien«; das war es wohl, was sie in ihren vielen leisen Unterhaltungen besprachen. Er schärfte mir ein, mich
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