Colin Cotterill
keine Rechte, die sie ihm hätten vorlesen können. Zum Glück, denn sie hatten nicht die Absicht, ihm welche zu gewähren.
Nur Zentimeter trennten Phosys Nase von der des Gefangenen. »Ich habe dich gesucht. Aber das ist dir vermutlich nicht neu. Ich habe dich offenbar überschätzt. Wenn ich gewusst hätte, dass du eine solche Niete bist, hätte ich dich schon viel früher gefunden.« Khen Nahlee starrte mit leerem Blick auf Phosys Stirn. Er ließ sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen. »Was hältst du davon, wenn wir Dr. Siri rasch guten Tag sagen, bevor wir dich in dein neues Zuhause bringen?«
Sie führten ihn in ein zweites am Flur gelegenes Zimmer, wo ein zweiter Dr.
Siri, umringt von einer kuriosen Besucherschar, freundlich lächelnd in den Kissen saß. Die Polizisten zerrten Khen Nahlee ans Fußende des Bettes. Er sah Siri an und schüttelte langsam den Kopf.
»Tja, Herr Ketkaew. So sieht man sich wieder. Sie haben mich schwer enttäuscht. Ich hatte eigentlich gehofft, Fräulein Vong an Sie abtreten zu können. Und nun bleibe ich doch auf ihr sitzen.« Khen Nahlee lächelte. »Aber Sie heißen vermutlich gar nicht Ketkaew, nicht wahr? Eins muss ich Ihnen lassen: Sie haben den Narren großartig gespielt. Als Hühnerzähler waren Sie äußerst überzeugend. Es tut mir leid, dass ich Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht habe, aber die Kräfte, mit denen Sie zu kämpfen hatten, waren nicht von dieser Welt. Grämen Sie sich nicht.«
Khen Nahlee hatte nichts zu sagen. Er hatte keine Fragen und brauchte sich auch nicht mehr zu verstel en. Er blickte in die Runde: Dtui, Herr Geung, Richter Haeng, Civilai, Dr. Pornsawan und Mais Schwester. Wie hatte er dieser Ansammlung von seltsamen Gestalten nur in die Fal e gehen können?
Er drehte sich zu Phosy um und deutete mit einem Nicken zur Tür.
»Ich an deiner Stel e hätte es nicht so eilig«, sagte Phosy. Zwei weitere Beamte kamen herein. Sie nahmen Khen Nahlee in ihre Mitte und brachten ihn zum Mannschaftswagen hinaus. Eine lange Zukunft war ihm nicht beschieden.
23
DIE TAFELRUNDE DES TOTEN PATHOLOGEN
Seit Siris zweiter Wiederkunft war eine Woche vergangen. Al mählich glaubte selbst Civilai, dass sein alter Freund unsterblich war. Und um Siri den Spaß nicht zu verderben, erklärte er ihr gemeinsames Mittagessen an diesem Freitag zur Totenwache. Er wol te ihre gewohnte Kost um eine Flasche Sekt ergänzen. Als besonderen Leckerbissen hatte er Inspektor Phosy dazugebeten. Was die unglaublichen Ereignisse der vergangenen Woche anging, gab es noch die eine oder andere Unklarheit.
Civilai und Phosy kamen pünktlich. Sie hatten sich den Nachmittag freigenommen und ließen sich zu einem langen, geruhsamen Mahl vor dem Baumstamm nieder. Civilai kämpfte mit einem Korkenzieher.
»Wol en Sie denn nicht auf den Verstorbenen warten?«
»Ich denke nicht daran.«
»Dann wil ich Ihnen gerne helfen.« Er nahm die Flasche und öffnete sie.
»Sagen Sie, Phosy, dann hatte Siri also keine Ahnung, was Sie eigentlich hier wol ten?«
»Er wusste, dass ich Polizist bin. Er hatte keinen Schimmer, dass ich Kham und seiner Bande auf den Fersen war. Ich wusste, dass er Frau Nitnoy obduziert hatte, und hoffte, ihm bei einem guten Schluck ein paar Informationen entlocken zu können. Nur deshalb hat der Richter uns überhaupt bekannt gemacht. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich solches Glück haben würde.«
»Warum haben Sie so lange gezögert, die Beweise zu verwerten?«
»Also, erstens waren sie nicht hundertprozentig schlüssig. Zweitens wol te ich Khen Nahlee unbedingt zu fassen kriegen. Ich war seit Jahren hinter ihm her.
Aber er wechselte seinen Namen und veränderte sein Aussehen so oft, dass ich jedes Mal zu spät kam. Ich war sicher, dass Kham ihn nach dem Mord an seiner Frau hinzuziehen würde, um die Spuren zu verwischen. Es dauerte nur ein bisschen, bis ich schließlich dahinterkam, wer er war. Er hat mich eine ganze Weile an der Nase herumgeführt.« Er goss Sekt in die vier Gläser.
»Wer ist der Vierte im Bunde?«
»Warten Sie’s ab. Wann haben Sie Ketkaew das erste Mal verdächtigt?«
»Nun ja, sicher war ich eigentlich erst, als Siri mir erzählte, dass Lehrerin Oum aus dem Lycee zur Umerziehung nach Vieng Xai gebracht worden war.«
»Mist. Der Sache sol te ich eigentlich nachgehen.«
»Keine Sorge. Schon passiert. Die Papiere tragen zwar den Stempel von Genosse Khams Dienststel e, aber das ist an und für sich nicht ungewöhnlich.
Angezeigt
Weitere Kostenlose Bücher