Colin Cotterill
sprich eine Ganzaufnahme von vorn, eine Ganzaufnahme von hinten sowie eine Detailaufnahme der ursächlichen Verletzung. Die ein oder zwei verbleibenden Aufnahmen waren von Rechts wegen Spuren äußerer Gewalteinwirkung und dergleichen Vorbehalten, wurden aber häufig für Gruppenbilder von Krankenschwestern missbraucht, mit denen diese ihre Verwandten auf dem Land beglücken wol ten.
Rechts und links von Frau Nitnoys gewaltigen Brüsten machte Dr. Siri Schnitte, die unterhalb des Brustbeins zusammenliefen und sich von dort aus zum Schambein hinunterzogen. Damit hatte die Obduktion begonnen. Er erklärte langsam und ausführlich jeden Schritt, damit Dtui, die keine Stenografie beherrschte, al es mitschreiben konnte.
Nachdem Siri den Brustkorb mit einer alten Knochensäge eröffnet hatte, beschrieb, wog und beschriftete er ein Organ nach dem anderen, und Dtui notierte jede Unregelmäßigkeit gewissenhaft in ihrem Büchlein. Mit einem feinen Skalpel machte er einen Schläfenschnitt und zog der armen Frau Nitnoy die Kopfhaut übers Gesicht. Während er die Organe am Untersuchungstisch eingehender inspizierte, befasste Herr Geung sich mit dem Schädel.
Bis der Klinikvorstand ihren Antrag auf Bereitstel ung einer elektrischen Säge bewil igt hatte, mussten sie sich mit einer Bügelsäge behelfen. Zu ihrem Glück war Herr Geung ein wahrer Meister im Umgang mit diesem Werkzeug. Die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt, setzte er fachmännisch einen akkuraten Schnitt, der zwar den Schädel perforierte, nicht aber das darunterliegende Gehirn verletzte. Ein Kunststück, das Siri bislang nicht gelungen war.
Ende 1976 war die Pathologie kaum besser ausgerüstet als der Schlachthof hinter dem morgendlichen Markt. In seiner Fleischerei musste Siri sich mit stumpfen Sägen und Messern, einer alten Knochensäge und von den Franzosen geerbten Bohrern bescheiden. Dazu kam seine kleine Privatsammlung von feineren Skalpel en und anderen Instrumenten. Zwar gab es ein oder zwei Messgeräte, Tropflnfusoren und Pipetten, aber ein Labor gab es nicht. Das nächste lag vierzig Kilometer entfernt, hinter der Grenze in Udon Thani, und für die gefürchteten kommunistischen Horden war die Grenze geschlossen.
Im Magazin des pädagogischen Instituts der Universität Dong Dok hatte Siri ein altes Mikroskop mitgehen lassen. Sol te die dortige wissenschaftliche Abteilung jemals wiedereröffnen, würde sein Fehlen vermutlich bemerkt.
Obwohl es sich bei dem Mikroskop um eine antike Gerätschaft aus den Urzeiten der Biologie handelte, die eigentlich ins Museum gehörte, leistete es noch immer hervorragende Vergrößerungsdienste. Leider waren die Abbildungen in seinen alten Lehrbüchern derart unscharf, dass er nicht immer erkennen konnte, wonach er suchte.
Bei seinen Untersuchungen verließ Siri sich in erster Linie auf altertümliche Farbtests: Mischungen verschiedenster Chemikalien oder Lackmusproben, die eher dem Ausschluss als der Bestimmung einer Todesursache dienten.
Fal s das Lycée Vientiane die nötigen Chemikalien vorrätig hatte, konnte Siri normalerweise etwa fünfzig mögliche Ursachen eliminieren, dafür blieben hundertfünfzig andere übrig.
Insofern war es nicht weiter verwunderlich, dass er auch um sechzehn Uhr dreißig noch nicht die leiseste Ahnung hatte, woran Frau Nitnoy gestorben war. Dafür hatte er eine el enlange Liste von Dingen beisammen, die als Ursache getrost ausgeschlossen werden konnten. Sie war nicht vom Zug überfahren worden (denn in Laos gab es keine Züge). Auch war sie weder erschossen, erstochen oder erstickt worden, noch hatte eine Militärbarkasse ihr die Beine abgetrennt. Aber da sie sich zum Zeitpunkt ihres Todes in einem geschlossenen Raum aufgehalten hatte, waren das keine weltbewegenden Erkenntnisse.
Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, sie sei an ihrem Essen erstickt, aber das Fehlen jeglicher Speisereste im Ösophagus und das jähe Eintreten des Todes sprachen eindeutig gegen diese Hypothese. Ohne Labor war es so gut wie unmöglich, Gift im Körper nachzuweisen, es sei denn, man wusste genau, nach welchem Gift man suchte, und da die Frau dasselbe gegessen hatte wie ihre Tischnachbarn, war es äußerst unwahrscheinlich, dass sie als Einzige daran gestorben sein sol te.
Nach seiner leidvol en Erfahrung mit Richter Haeng und dessen hilfreichen Ratschlägen hatte Siri al es darangesetzt, Herzversagen als Todesursache zweifelsfrei zu eliminieren. Es gab keinerlei Hinweis auf eine Okklusion oder
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