Colin Cotterill
Männer zu schützen, die sie mitnehmen wol ten. Er zog den Wagen heraus, trat zurück und überließ ihnen die Leiche.
Ihre großen Füße ragten wie Flossen unter dem Tuch hervor. Behutsamer, als Siri es ihnen zugetraut hätte, hoben die Männer Frau Nitnoy hoch und legten sie in ihren Sarg.
»Sie haben sie doch wieder… zusammengeflickt, oder?«, fragte Kham.
»Nicht, dass uns auf dem Heimweg dieser oder jener Körperteil abhanden kommt, was, Jungs?« Die Männer lachten nervös, was jedoch eher mit seiner Person zu tun hatte als mit seinem äußerst fragwürdigen Humor. Wenn seine Gefühl osigkeit tatsächlich auf die Schockwirkung zurückzuführen war, musste ihm der Tod seiner Frau sehr nahegegangen sein.
Aber daran mochte Siri nicht recht glauben. Er sah Kham an, sah ihm offen in die Augen, und der Genosse wandte sich ab, mit einem Anflug von Verlegenheit und mehr. Siri sagte nichts. Kham ging hinaus.
Die Träger wahrten pietätvol es Schweigen und nagelten den Deckel, so leise ihre Hämmer es erlaubten, auf den Sarg. Sie bekamen die Gattin des Genossen nicht durch die Tür. Wegen des beträchtlichen Gewichts brachen die Räder nach rechts aus, und die Trage krachte gegen den Rahmen. Die Männer versuchten es ein zweites Mal, aber die Trage scherte immer wieder aus. Sie wol te sich partout nicht in den Hof hinausrol en lassen.
Und so waren die Männer schließlich gezwungen, die Trage samt ihrer Fracht unter Aufbietung al ihrer Kräfte durch die Tür zu schleppen. Genosse Khan wartete draußen, mit einer bil igen, schnel brennenden Zigarette zwischen den Lippen. Auch er schwieg. Er ging, verärgert über ihren Zickzackkurs, neben der Trage her und verschwand mit ihr um die nächste Ecke.
Siri stand unter dem MORGUE-Schild und lauschte wie ein Hund mit schiefgelegtem Kopf. Ein alter Hund, der aufmerksam in sich hineinhorchte.
Er atmete tief durch, um seine Nerven zu beruhigen, aber sein Puls raste noch immer.
Einerseits sagte er sich: Geh nach Hause, lass die Türen offen und die Lichter an. Hau einfach ab und komm nie wieder. Andererseits sagte ihm sein Verstand: Mach dich nicht lächerlich. Er wandte sich um und ging durch den kleinen Vorraum in den Sektionssaal.
Er stel te sich unter die flackernde Neonröhre in der Raummitte und lauschte.
Er hörte, wie die Motten gegen das Moskitogitter vor dem Fenster klatschten und das Summen der Leuchtröhre an der Decke. Er hörte dumpfe Gesprächsfetzen aus der Klinik herüberwehen und das verhaltene Krähen eines Hahns. Weiter nichts.
Ein Kakerlak huschte an ihm vorbei in Richtung Lagerraum. Al e Desinfektionsmittel dieser Welt hätten nicht ausgereicht, um ein Krankenhaus in Südostasien von Kakerlaken zu befreien. Dtui und Geung wischten und schrubbten viermal täglich, legten Gift und Klebfal en aus, aber für ein Tier, dem weder die Eiszeit noch der Meteor auch nur das Geringste hatte anhaben können, war Siris Pathologie das reinste Paradies.
Er folgte dem Insekt in den Lagerraum und schaltete das Licht ein. Die Schabe und ein gutes Dutzend ihrer Artgenossen verschwanden eilig in dunklen Ecken und Ritzen. Der gesamte Lagerbestand war doppelt und dreifach verpackt oder in Marmeladengläsern mit Schraubverschluss untergebracht, sodass das Ungeziefer gar nicht erst Gelegenheit erhielt, sich an den Proben in den Regalen gütlich zu tun. Aber der Geruch des Todes durchwehte diese unheiligen Hal en, und für einen Kakerlak war das wie der Duft von Jasmin an einem lauen Frühlingsabend.
Die einzelnen Regalreihen waren durch schmale Durchgänge voneinander getrennt. Siri zwängte sich zwischen Reihe drei und vier und arbeitete sich langsam zu den Gläsern mit den Präparaten vor. Wenige Zentimeter über seinem Kopf schwamm Frau Nitnoys Gehirn auf einem Wattebett in einem kleinen Teich aus Formalin. Die Watte sorgte dafür, dass es sich durch die Berührung mit dem Glasboden nicht verformte. Noch war es nicht fest genug, um es zu sezieren. Aber in ein paar Tagen würde die Gattin des Genossen ihnen viel eicht doch das eine oder andere mitzuteilen haben.
Als Herr Geung am Dienstagmorgen in die Pathologie kam, war Dr. Siri schon bei der Arbeit. Das Glas mit dem Präparat stand vor ihm auf dem Tisch, leer, und er wol te eben Frau Nitnoys Gehirn anschneiden.
»Hal… hal o, Dr. Genosse.«
Siri blickte auf. »Guten Morgen, Herr Geung.«
Geung stand leise schwankend da und starrte ihn ungläubig an. »Sie sind schon da.«
»Jawohl.« Siri wusste, wo das
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