Colin Cotterill
Kelch der Macht getrunken hatten. Sie waren im besten Fal e lästig. Wenn man sie jedoch auf dem falschen Fuß erwischte, konnten sie bisweilen regelrecht gefährlich werden. »Herr Ketkaew, würden Sie mir freundlicherweise erklären, wie ich einen Leichnam am Stinken hindern sol ?«
Darüber musste Ketkaew nachdenken. »Können Sie ihn denn nicht einsprühen?«
»Sie meinen, mit Lufterfrischer oder dergleichen?«
»Zum Beispiel.«
Siri lachte. Selbst der Direktor unterdrückte ein Lächeln. »Das lassen die Gesetze leider nicht zu. Die Vorschriften verbieten es ausdrücklich, die Leiche mit Duftstoffen zu behandeln, die geeignet sind, den natürlichen Geruch zu beeinträchtigen. Das wäre ein Verstoß gegen die Menschenrechte.«
»Dann müssen Sie eben die Fenster schließen. Bei diesem verdammten Gestank kann doch kein Mensch arbeiten.«
»Wir sol en die Fenster schließen? Dann müssten wir einen nicht unerheblichen Teil des ohnehin kärglichen Kliniketats in die Anschaffung einer Klimaanlage investieren. Oder wol en Sie uns etwa das Atmen verbieten?«
Ketkaew zuckte gleichgültig die Achseln. »Am besten wäre es viel eicht, wenn Direktor Suk Ihr Büro dorthin verlegen würde, wo Sie der Geruch nicht stört.«
Suk fuhr dazwischen. »Nein. Auf dem Klinikgelände gibt es leider keine andere Möglichkeit. Es gäbe da eventuel ein der zwei Stel en außerhalb des
…«
»Kommt nicht in Frage. Um meine Aufgabe zur größtmöglichen Zufriedenheit erfül en zu können, muss ich unbedingt vor Ort sein.«
Plötzlich wurde Siri al es klar. Die Klinik wol te Ketkaew nicht haben, konnte sich aber schlecht dagegen wehren. Also hatte man ihn hinter die Pathologie verbannt, in der Hoffnung, dass der Gestank ihn bald vertreiben würde. Und nun musste Siri sich mit ihm herumplagen. Warum passierte so etwas eigentlich immer freitags? Inzwischen erfül te ihn schon der Gedanke an den fünften Wochentag mit dumpfem Unbehagen. Und das nicht zuletzt wegen der Sitzungen mit Richter Haeng.
Leider war es dem Richter bei der zweiten Entlastungsschulung nicht vergönnt, sich mit Siri über dessen »Einstel ung« zu unterhalten, denn sie waren nicht al ein. Im zweiten Gästesessel saß ein adretter Mann Anfang vierzig, der mit Anfang zwanzig vermutlich nicht viel anders ausgesehen hatte.
Er hatte ein lustiges, ebenso zartes wie hübsches Gesicht und die Statur eines Atlethen. Er redete nicht viel.
Richter Haeng stel te ihn vor. »Ich möchte Sie mit Inspektor Phosy von der Staatspolizei bekanntmachen. Der Inspektor kommt gerade von einem Fortbildungslehrgang in Vieng Xai, den er mit Auszeichnung abgeschlossen hat. Er wird in Kürze auf seinen alten Posten als Chefermittler hier in Vientiane zurückkehren.«
Siri beugte sich vor und schüttelte Phosy die Hand. Es war ein langer Händedruck, der dazu bestimmt schien, ihm Informationen zu entlocken. Die meisten Laoten gaben sich die Hand, und mit der Zeit entwickelte man ein Gespür dafür, was der Händedruck eines Menschen über ihn verriet: Offenheit, Ungeduld, Schwäche. Siri fragte sich, was er soeben preisgegeben hatte.
Er dachte über den Polizisten nach. Der »Fortbildungslehrgang in Vieng Xai«
bedeutete nichts anderes als Umerziehung. Nach der Machtübernahme durch die Pathet Lao waren sämtliche Polizeischüler zur »Fortbildung« in den Norden beordert worden, unter anderem um ihre Loyalität auf die Probe zu stel en. Wenn Phosy tatsächlich eben erst zurückgekehrt war, hatte er ein ganzes Jahr im Lager verbracht. Siri fragte sich, welche Spuren das bei einem Menschen hinterließ. Bis jetzt hatte er artig über Richter Haengs Scherze gelacht und ihm in al em zugestimmt. Das ging Siri langsam, aber sicher auf die Nerven. Haeng hustete.
»Ich habe Sie beide zu mir gebeten, um mit Ihnen über die Leichen zu sprechen, die wir aus dem Nam-Ngum-Stausee geborgen haben«, begann Haeng.
»Leiche«?«
»Ja, Doktor. Zwei an der Zahl.«
»Das ist mir neu. Warum ist nur eine davon auf meinem Seziertisch gelandet?«
»Al es zu seiner Zeit, Siri. Phosy, haben Sie die Kopie von Siris Bericht bei sich, den ich Ihrer Abteilung habe zukommen lassen?«
»Jawohl, Genosse Richter. Er ist in meiner Tasche. Es war sehr aufmerksam von Ihnen, uns den Bericht zu übersenden.«
»Nichts weiter als eine Höflichkeitsgeste, wie sie zur reibungslosen Zusammenarbeit der einzelnen Justizorgane nicht nur geboten, sondern unerlässlich ist. Hätte ich ihn eher bekommen, hätten auch Sie ihn
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