Colin Cotterill
ihrem Neugeborenen und der Schweinepest, mit der ihr Mann zu kämpfen hatte, und gewöhnte sich al mählich an das Wunderwerk in seiner Hand. Das Mädchen musste ihm den Hörer förmlich entreißen, damit er die Leitung nicht al zu lange blockierte.
Und so hatte Siri bereits zwei Großtaten vol bracht, obwohl der Tag noch kaum begonnen hatte: Er hatte erstens praktisch ohne fremde Hilfe ein Telefon bedient und zweitens mit dem Justizministerium gesprochen, ohne sich persönlich mit dem lästigen Bürschchen auseinandersetzen zu müssen.
Leider war es ihm nicht vergönnt, den dreifachen Triumph mit der Obduktion perfekt zu machen.
Dtui stand mit noch größerer Begeisterung als sonst und ihrem Notizblock in der Hand neben dem Sektionstisch, während Siri seine morgendlichen Beobachtungen zu Protokol gab. Die aufgequol ene Haut wies weitere sonderbare Spuren auf, darunter auffal ende Brandnarben, die rings um Brustwarzen und Genitalien, aber nirgends sonst zu finden waren.
Dtui meinte, die Schnur am Fußgelenk weise darauf hin, dass der Mann an einen schweren Gegenstand gebunden und versenkt worden sei. Und sie machte noch eine Beobachtung, auf die Siri bislang nicht gekommen war.
»Warum haben sie nicht Kabel oder Draht genommen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Also, wenn ich jemanden auf diese Weise abservieren wol te, würde ich dazu bestimmt nicht so eine beschissene Schnur verwenden. Es weiß schließlich jeder, dass sich dieser bil ige vietnamesische Nylonkram im Wasser auflöst. Früher wurde das Zeug beim Bau von Bambusgerüsten eingesetzt. In der Regenzeit stürzten die Dinger dann al e ein, weil die Schnur verrottete.«
»Hmm. Viel eicht hatten sie nichts anderes zur Hand. Oder sie hatten es eilig.
Aber das ist eine gute Frage. Bitte notieren.« Stolz tat sie wie geheißen.
Die letzte Notiz, bevor Siri das Skalpel ansetzte, betraf das Gesicht des Mannes. Der Mund war aufgesperrt, und auf seinen Zügen lag ein Ausdruck des Entsetzens, wie sie ihn bei einem Toten noch nie gesehen hatten. Er konnte unmöglich erst nach seinem Ableben eingetreten sein.
Als der Leichnam schließlich eröffnet war und sie sich von dem grässlichen Gestank erholt hatten, erlebte Siri eine weitere Überraschung. Bei einer halbverwesten Leiche war es normalerweise äußerst schwierig, Ertrinken zweifelsfrei als Todesursache zu bestimmen. In diesem Fal jedoch war es genau umgekehrt. Es gab eindeutige Hinweise darauf, dass der Mann keineswegs ertrunken war.
Im Süßwasser dauert der Ertrinkungsvorgang etwa vier Minuten. Die resorbierte Flüssigkeit dringt in den Blutkreislauf ein und verdünnt das Blut in einem Verhältnis von 1:1. Wenn das Opfer beim Eintauchen ins Wasser noch geatmet hat, werden das Wasser und die Algen darin in die Gewebespalten der Lunge gepresst.
Siri entnahm Proben aus Magen, Lunge und Arterien, aber sein Instinkt sagte ihm, dass der Mann schon tot gewesen war, als er im Wasser landete. Nichts deutete daraufhin, dass sein Herz noch geschlagen und er noch geatmet hatte. Trotzdem war Herr Geungs anfängliches Fehlurteil verzeihlich. Al e anderen Anzeichen waren vorhanden. Der Mann hatte zwei bis drei Wochen im Wasser gelegen. So viel stand fest.
Zweitens…
Plötzlich erschien ein Mann mit furchtbar lauter Stimme in der Tür. Er hielt sich ein Tuch vor den Mund und sah die drei an, als ob er sie bei etwas Verbotenem ertappt hätte.
»Was verbreiten Sie denn hier für einen widerlichen Gestank?«
»Raus hier«, sagte Siri, ohne aufzublicken.
»Erst wenn Sie diesen ekelhaften Gestank beseitigen. Was ist denn das?
Doch nicht etwa eine Leiche?«
»Herr Geung. Hätten Sie wohl die Güte, diese ausgesprochen unhöfliche Person aus unseren Räumlichkeiten zu entfernen?«
Geung ging auf ihn los, doch bevor er ihm gefährlich werden konnte, trat der Eindringling auch schon den Rückzug an. Dabei brül te er: »Ich werde Sie al e der Klinikleitung melden. Verfluchter Gestank. Das darf ja wohl nicht wahr sein.«
Siri lachte leise. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Zweitens…«
»Genau. Zweitens scheint im Brusthöhlenbereich eine Anomalie vorzuliegen.
Rings um die Hauptschlagader zeigen sich Totenflecke, was auf schwere innere Blutungen hindeutet.«
»Verursacht wodurch?«
»Keine Ahnung. Das schlagen wir später nach.«
Weiter konnte er nichts feststel en. Zwar war die Leber alkoholgeschädigt, aber nicht in dem Maße, dass es den Mann das Leben hätte kosten können.
Herz und Gehirn schienen in
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