Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
Vom Netzwerk:
einen Schritt vortrat. Er hielt noch immer die Hände vor dem Gesicht gefaltet. Er sprach mit starkem Akzent.

    »Du bist es, nicht wahr?«
    »Das wil ich doch hoffen«, sagte Siri. Er trat vor, um dem Häuptling die Hand zu schütteln, aber der alte Mann zog sich wieder zu den anderen zurück.
    »Heiden«, sagte der Hauptmann. Er hatte offenbar keinerlei Mitleid mit dem stolzen Volk, gegen das er über ein Jahrzehnt gekämpft hatte.
    Die Ältesten steckten die Köpfe zusammen und tuschelten nervös auf Hmong.
    Sie waren sichtlich verwirrt, ihre Nops wie festgewachsen.
    Der Fahrer trat kopfschüttelnd neben Siri. »Ich habe sie ja schon oft genug verrückt spielen sehen, aber heute brechen sie sämtliche Rekorde.
    Normalerweise versuchen sie diesen offiziel en Kram so schnel wie möglich hinter sich zu bringen, damit sie weiterwursteln können.«
    Siri trat noch einen Schritt vor, und diesmal wichen die Ältesten gemeinsam zurück. Er wurde daraus einfach nicht schlau.
    »Stimmt was nicht?«
    »Wie bist du hierhergekommen?«, fragte eine Frau.
    »Mit einer Jak-40.« Schweigen. »Ich bin geflogen.«
    Wieder schnatterten die Ältesten durcheinander, noch aufgeregter als zuvor.
    Dann wagte sich dieselbe Frau mutig vor, löste sich aus der Gruppe und streckte die Hand nach Siris Arm aus. Ihre Finger zitterten. Sie schien erleichtert, als sie feststel te, dass in seinem Hemd ein Mensch aus Fleisch und Blut steckte. Sie erstattete den anderen Bericht, und schlagartig änderte sich die Atmosphäre.
    Lächelnd umringten sie Siri und bombardierten ihn auf Hmong mit Fragen, als sei er ein verschol en geglaubter Freund. Die Soldaten wussten nicht, was sie davon halten sol ten. »Waren Sie etwa schon mal hier?«, rief der Hauptmann.
    »Nein«, antwortete Siri lächelnd.
    »Die spinnen, die Hmong.«

Halb führten und halb trugen die Ältesten den Doktor zur Versammlungshütte.
    Trotz seiner Verwirrung genoss er es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie setzten ihn auf den Ehrenplatz in der Hüttenmitte und brachten ihm Wasser und Süßigkeiten. Die Soldaten würdigten sie keines Blickes.

    Immer wieder stel ten sie ihm Fragen auf Hmong. Er erklärte ihnen jedes Mal auf Lao, dass er ihre Sprache leider nicht beherrsche. Sie lachten. Er lachte.
    Die Soldaten gähnten.
    Schließlich setzten sich die Ältesten im respektvol en Abstand von einigen Metern im Kreis um ihn herum. Ihre Zahl war auf etwa zwanzig gestiegen. Sie stel ten sich reihum vor, aber die einzigen Namen, die er behalten konnte, waren Tshaj (der Häuptling), Nabai (die Frau, die ihn zuerst berührt hatte), Lao Jong (ein hochgewachsener Mann mit zahnlosem Grinsen) und Tante Suab (das zweite weibliche Ratsmitglied). Das reizende Lächeln der zierlichen alten Dame verriet Siri, dass sie im Laufe ihres langen Lebens so manches Herz gebrochen hatte. Der Hauptmann saß mit ernster Miene im Eingang, seine Stiefel zeigten auf den Kreis.
    Es wurde langsam dunkler, da immer mehr Schaulustige kamen, die sich den unglaublichen Anblick in der Versammlungshütte um keinen Preis entgehen lassen wol ten. Sie blockierten den Eingang und die Fenster. Kinderaugen spähten durch die Ritzen zwischen den Bananenblättern. Siri hätte weiter Theater spielen können, bekam jedoch al mählich ein schlechtes Gewissen, weil er diese Verwechslung so schamlos ausnutzte.
    »Das ist ja al es sehr schön«, sagte er. »Aber was die Soldaten sagen, stimmt.« Zu seinem Erstaunen benutzte er das Hmong-Wort für »Soldaten«.
    Er musste es irgendwo aufgeschnappt haben. »Ich bin wirklich Siri Paiboun aus Vientiane. Ich bin Pathologe (zum besseren Verständnis benutzte er den Ausdruck ›Geisterdoktor‹) an der Mahosot-Klinik. Ich sehe viel eicht aus wie jemand, den Sie kennen, bin es aber leider nicht.«
    Statt einer Antwort starrten sie ihn wortlos lächelnd an. Er fragte sich, ob sie ihn verstanden hatten.
    »Was glauben Sie denn, wer ich bin?«
    »Du bist Yeh Ming«, sagte der Häuptling ohne Zögern. Die Dorfbewohner ringsum schnappten ungläubig nach Luft.
    »Schön wär’s«, entgegnete Siri lachend. »Der Mann muss ja ein großer Krieger sein. Was macht er denn so, euer Yeh Ming?« Der Wendung ein großer Krieger war ein Hmong-Ausdruck, den er eigentlich gar nicht kennen konnte.

    Tante Suab sprach ruhig und ernst, als handle es sich um eine Art Prüfung.
    »Yeh Ming ist der größte al er Schamanen.«
    »Yeh Ming hat übernatürliche Kräfte«, setzte Tshaj hinzu. »Vor tausendfünfzig Jahren hast

Weitere Kostenlose Bücher