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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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meinen Träumen?«
    »Ich weiß, dass du deine Geister nicht mehr in der Gewalt hast.«
    »Ich…«
    »Herr Lao Jong ist unser Mor Tham, unser Geistermedium. Er kann es sehen.
    Er weiß, dass du ein Schamane bist.«
    »Ich bin kein Schamane.« Lao Jongs Aufdringlichkeiten gingen ihm al mählich genauso auf die Nerven wie sein zahnfleischiges Grinsen.

    »Die Hunde wissen al es.«
    »Welche Hunde?«
    »Sie wissen, wer du bist. Sie wissen, was in dir rumort.«
    »Das Einzige, was in mir rumort, ist mein Magen. Von dem Zeug wird mir übel.«
    »Das ist nicht der Schnaps. Sondern der Wald.«
    Die Männer verschwammen Siri vor den Augen. Der Alkohol war erstaunlich stark, und das Gesprächsthema machte ihn ganz kribbelig. Dabei wünschte er im Grunde seiner agnostischen Wissenschaftlerseele, an dem ganzen Gerede von Geistern und Medien wäre tatsächlich etwas dran. Er wünschte, es gäbe etwas anderes, etwas Irrationales. Die Wissenschaft hatte ihn sein Leben lang in ein Korsett gezwängt, und es war an der Zeit, sich davon zu befreien.
    Aber das, was er hier zu hören bekam, war nichts als Geschwätz, nichts als das abergläubische Geschwafel von einem Haufen alter, versoffener Hmong.
    Sie hatten einen Glückstreffer gelandet. Träume hat schließlich jeder. Die Hundebemerkung war einfach so dahingesagt. Im Grunde war das al es bloß dummes Zeug. Schwankend stand er auf, entschuldigte sich und bat darum, ins Bett gebracht zu werden. Der Whisky verwirrte ihm die Sinne. Zwei Männer stützten ihn und gingen mit ihm davon. Sie waren noch nicht weit gekommen, da rief Tshaj:
    »Yeh Ming.« Siri und seine Stützen drehten sich um. »Ich spreche ein paar Brocken, nur das Nötigste. Aber kein anderer hier am Tisch spricht Lao.«
    Das war der letzte Gedanke, den Siri in seinem Taumel registrierte. Sie brachten ihn in die Gästehütte und legten ihn ins Bett, doch daran sol te er sich später nicht mehr erinnern. Da hatte er längst schon das Bewusstsein verloren.
    Bei dem Gerede, der Umgebung und dem Whisky war es eigentlich kein Wunder, aber in dieser Nacht hatte er einen spektakulären Traum.
    Er war gekleidet wie ein Hmong vor tausend Jahren. Aus Gründen, die nur der Große Traumregisseur kannte, fuhr er auf Dtuis Rad durch einen Märchendschungel. Er sah die Bäume nicht als Bäume, sondern als die Geister, die in ihnen wohnten. Sie waren ineinander verschlungen und verdreht, von den Wurzeln bis hoch in den Himmel. Sie waren freundlich und entgegenkommend, genau wie Tshaj sie geschildert hatte. Viele von ihnen waren Frauen, schöne Frauen, deren langes Haar mit dem Holz verwuchs und sich in der Maserung verlor.
    Es war ein Ort der Glückseligkeit; al e Geister schienen ihn zu kennen, und sie waren ihm wohlgesinnt. Aber das Fahrrad quietschte, und der Krach weckte ein schwarzes Wildschwein, das im Gebüsch geschlafen hatte. An seinen Hauern klebte noch das Blut seines letzten Opfers. Die Baumgeister riefen Siri, um ihn zu warnen, aber er kam nicht von der Stel e. Das Fahrrad war völ ig eingerostet. Weiß der Himmel, warum er nicht einfach abstieg und um sein Leben lief.
    Der Keiler ging zum Angriff über. Siri schaute zu den Geistern hinauf, aber sie konnten ihm nicht helfen. Als er den Blick wieder senkte, stand eine kleine Frau zwischen ihm und dem Wildschwein. Sie schien keine Angst zu haben, selbst als das Tier zum Sprung ansetzte und auf sie zugeschossen kam.
    Bevor es sie anfal en konnte, hielt sie ihm das schwarze Amulett entgegen, und die pral en Muskeln und das dunkle Fel des Wildschweins verwandelten sich in ein verkohltes Blatt Papier schwebte friedlich zu Boden und zerfiel zu Asche.
    Sie wandte sich zu Siri um. Er hatte das liebliche Gesicht von Tante Suab erwartet, blickte stattdessen jedoch in das Gesicht desselben alten Mannes mit dem betelroten Mund, der in seinem vorigen Traum tot zu Füßen der Vietnamesen gelegen hatte. (Er schien auf derartige Gastauftritte spezialisiert zu sein.) Ohne Siri eines Blickes zu würdigen, ging er von Baum zu Baum, riss die Geister und Nymphen herab und stopfte sie in eine Coca-Cola-Flasche.
    Noch bevor die Flasche vol war, hatte er al e Geister von den Bäumen gepflückt und verschwand. Übrig blieb Siri auf seinem verrosteten Fahrrad, umringt von Bäumen, die jetzt nur noch Bäume waren.
    Er hörte Kaugeräusche, warf einen Blick über die Schulter und sah, dass der Waldboden hinter ihm hel grün war. Die Farbe spiegelte sich in seinen Augen und schien regelrecht zu

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