Colin Cotterill
Luft.
Durch ein kleines Fenster sah Siri, wie der Hauptmann zum Lastwagen zurückging. Eine Krähe mit braunem Federschopf saß, vom Flugzeuglärm gänzlich unbeeindruckt, etwa fünf Meter entfernt auf einem Baumstamm. Der Fahrer versuchte den Vogel zu verscheuchen, doch der blieb seelenruhig sitzen, bis der Fahrer schließlich aufgab. Als der Lastwagen davonfuhr, flog die Krähe hinterher.
Der hemdsärmelige Forstwirt war so freundlich, Siri das Projektgelände zu zeigen, als sie darüber hinwegflogen. Der Doktor war von den Ausmaßen schier überwältigt. Hektar um Hektar hatte man den prächtigen Dschungel abrasiert. Die Verwüstung erstreckte sich nach al en Seiten, so weit das Auge reichte. Er drückte die Nase an das verkratzte Glas und schüttelte langsam den Kopf.
»Scheiße.« Er bemerkte, dass er unwil kürlich in seine Tasche gegriffen hatte und den Lederbeutel umklammert hielt. Er murmelte eine Entschuldigung an den Phibob und die anderen vertriebenen Seelen. »Es tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung.«
»Was haben Sie gesagt?« Der Forstwirt beugte sich zu ihm, damit er ihn besser verstehen konnte.
»Ach, nichts, nur ein kleines Gebet.«
»Angst vorm Fliegen, was?«
»Eher Angst vorm Landen. Ahm, Genosse. Sie wissen nicht zufäl ig, wohin in Taiwan dieses Holz geliefert wird?«
12
ANGST VOR DER LANDUNG
In diesem Fal war Siris Angst vor dem Landen berechtigt. Die Jak hatte damit zwar, abgesehen von ihren schlechten Flugeigenschaften, keine Probleme.
Doch kaum hatte die Maschine in Wattay aufgesetzt, kehrten das Misstrauen und die Furcht, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte, auch schon zurück. Der unbesiegbare Krieger aus Khammouan hatte das Flugzeug anscheinend verpasst.
Nervös suchte er die Besuchergalerie im alten Terminal ab. Jeder der Zuschauer dort oben konnte eine Waffe bei sich haben. Der Beamte, der seine Reiseunterlagen prüfte, schien ihn länger als nötig zu mustern. Als der Saam-Loo-Fahrer auf dem Heimweg versehentlich falsch abbog, bedrängte Siri ihn hartnäckig mit Fragen, bis der Mann den Tränen nahe war. In sicherer Entfernung von seinem Haus stieg er aus und ging den Rest des Weges zu Fuß. An der Straßenecke blieb er stehen und sondierte die Häuser gegenüber.
Als er den Vorgarten erreichte, waren al seine Sinne aufs Äußerste geschärft.
Er war für jede Eventualität gewappnet -nur nicht für die Eventualität, die dann tatsächlich eintrat. Zu seinem größten Erstaunen sah Saloop von der Vordertreppe zu ihm auf und kam freudig angewatschelt. Der Schwanz des Hundes flatterte wie die Nationalflagge im Monsun. Er rieb die Schnauze an Siris Beinen und reckte den Hals, als wol te er gestreichelt werden.
Der rosarote Himmel kündigte das Tagesende an, und Fräulein Vong trat an ihr Fenster, machte ihre Lampe an und schloss die Läden. Nie hätte sie gedacht, mit ansehen zu dürfen, wie Siri den Bauch des Hundes kraulte, der auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte. Sie stand da und staunte mit offenem Mund.
Siri sah zu ihr hoch und lachte, »’n Abend, Fräulein Vong.« Und halblaut:
»Kommen Sie mir bloß nicht auf dumme Gedanken.«
Noch immer ganz im Bann seiner neuen Beziehung zu Saloop, ging er ins Badezimmer im Parterre und heizte den Badeofen an. Ein heißes Bad hatte er sich redlich verdient.
Er sah sofort, dass jemand in seinem Zimmer gewesen war. Er ahnte auch schon, wer. Auf dem Schreibtisch lag ein nicht adressierter Umschlag. Die Briefbotin, fraglos eine gewisse alte Schachtel aus dem Bildungsministerium, hatte ihn als Vorwand benutzt, um in sein Zimmer einzudringen, Staub zu wischen, den Fußboden zu kehren, das Geschirr abzuwaschen und seine Bücher ordentlich durcheinanderzubringen. Es wurde al mählich Zeit, in ein Vorhängeschloss zu investieren. Es gab wahrhaftig Schlimmeres als Verbrecher.
Er ging nach unten, setzte sich gemütlich in die Badewanne und wusch sich das Haar mit dem übrig gebliebenen Reiswasser, das den Hausbewohnern als Shampoo diente. Er untersuchte seinen altersschwachen Körper auf Spuren des Kampfes, den er ausgefochten hatte, aber wenn überhaupt, sah er jetzt besser aus als vor seiner Reise nach Khammouan. Sauber und erfrischt ging er in sein Zimmer zurück, hül te sich in ein trockenes Leinentuch und wartete, bis das Kaffeewasser kochte. Er trug die Öl ampe zum Teetisch und blies in das dampfende Gebräu in seiner Tasse. Jetzt erst war er bereit für den Brief. Er inspizierte die Lasche. Sie schien
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