Colin Cotterill
unversehrt, wies weder Dampf- noch Wasserspuren auf. Mit einem alten Skalpel schlitzte er den Umschlag auf und entnahm ihm zwei beschriebene Blätter.
Er suchte als Erstes nach der Unterschrift; sie lautete »ein Mitstreiter im Kampf gegen das Verbrechen«, ein Hinweis darauf, dass auch Phosy befürchtete, der Brief könne in die falschen Hände fal en.
Er begann mit einem Paukenschlag.
Mein lieber Maigret,
die Friseuse ist tot. Als ich davon erfuhr, kam mir wahrscheinlich derselbe Verdacht wie Ihnen. Aber genK war zur Tatzeit fort, und al es deutete auf Selbstmord hin. Ich war auf dem Revier, als der Fal hereinkam. Ein Kol ege hatte die Tote in ihrer Wohnung aufgefunden zusammen mit einem Abschiedsbrief. Sie hatte sich mit einem Rasiermesser aus dem Salon die Pulsadern aufgeschnitten.
Ihre Hände ruhten in einer Schüssel Wasser, das zur Tatzeit vermutlich warm gewesen war. Auf diese Weise lässt sich das Gerinnen des Blutes verhindern.
Sie war wachsweiß, ist also mit ziemlicher Sicherheit verblutet. Leider waren Sie nicht da, sonst hätten Sie die Leiche natürlich in Augenschein nehmen können. Stattdessen wurde sie umgehend beerdigt, aus diversen religiösen Gründen, die Ihnen sicherlich vertrauter sind als mir.
In dem Brief stand, sie habe genK sehr geliebt und sei furchtbar eifersüchtig auf seine Frau gewesen, die er jedoch nicht verlassen wol te. Also beschloss sie, ihre Rivalin aus dem Weg zu räumen. Die Beschaffung war kein Problem.
Leider hatte ich bei meinen Ermittlungen eine Kleinigkeit vergessen (pardon, aber ich habe ein Jahr lang Gemüse angebaut): In dem Salon, in dem sie arbeitete, ließ Frau N. sich die Haare machen. Sie hätte das Zy. also ohne Weiteres zu den Kopfschmerztabletten geben können, während N. unter der Trockenhaube saß oder je nachdem was Frauen beim Friseur so al es treiben.
Ich habe genK befragt. Er wirkte ziemlich verstört. Ich hatte den Eindruck, dass er das Mädchen wirklich mochte. Da ich mir in dem einen oder anderen Punkt noch nicht ganz schlüssig bin, habe ich bis jetzt lediglich einen Bericht über das Auffinden des Selbstmordopfers eingereicht. Nach meiner Rückkehr aus dem Norden (Seminar) würde ich gern Ihre Meinung dazu hören.
1. Wie es aussieht, ist genK aus dem Schneider.
2. Die Mörderin hat sich bereits selbst gerichtet.
3. Ich frage mich, was es bringen sol , damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Aber ich bin natürlich nur ein kleiner Bul e. Was weiß ich schon? Wenn Sie anderer Ansicht sind, lasse ich mir die Sache gern noch einmal durch den Kopf gehen. Ich hoffe, Sie haben sich im Urlaub gut erholt. Ich freue mich schon auf Ihre Geschichten. Al es Gute.
Ein Mitstreiter im Kampf gegen das Verbrechen.
Der Kaffee war kalt.
»Das war’s dann wohl.« Er machte das Wasser noch einmal heiß und gab die kläglichen Reste seines aus Hanoi importierten Kaffeepulvers in den Filter.
»Ende gut, al es gut.« Er setzte sich mit dem frisch gebrühten Kaffee an den Schreibtisch, ließ die Lampe jedoch auf dem Teetisch stehen. Er blies in seine Tasse und blickte auf die mondbeschienene Tempelanlage hinaus.
Safranfarbene Gewänder bauschten sich sanft auf den Wäscheleinen. Ein alter Mönch schöpfte aus einem großen Tonkrug Wasser über den Kopf eines jungen Novizen. Ein zum Gartenschmuck umfunktionierter rostiger Renault trug zwei schlafende Tempelkatzen als Kühlerfiguren. Al es war friedlich.
»Ende gut, al es gut.«
13
MUSSESTUNDEN
Siri ging spät zu Bett und erwachte früh aus tiefem, traumlosem Schlaf. Als er das Haus verließ, klaubte er mit seinem alten Meißel die beiden Geschosshülsen aus der Eingangstür. Sie hinterließen zwei hässliche Narben, über die sich Fräulein Vong noch in vier Wochen bitter beschweren würde.
Saloop hockte derweil zu seinen Füßen und sah ihm treu ergeben bei der Arbeit zu.
Da er unbedingt wissen wol te, was Nguyen Hongs Untersuchungen ergeben hatten, war er schon um sechs in der Pathologie. Um diese Zeit hatten noch nicht einmal die Nudelstände am Straßenrand geöffnet. Doch seine Hoffnung, in der Pathologie auf irgendetwas Interessantes zu stoßen, wurde enttäuscht.
Auf seinem Schreibtisch lagen weder Nachrichten noch Notizen noch gar fertige Berichte. Hoks und Trans Leichen waren verschwunden, und die Kühlkammer war abgeschaltet und stand sperrangelweit offen. Der letzte Eintrag in Dtuis Notizbuch betraf Siris Obduktion von Tran 1; kein Wunder, hätte der vietnamesische Kol ege ihr doch kaum
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