Colin Cotterill
hatten.«
»Ich bin eben ein höflicher Mensch. Was war denn los?«
Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden und sah ihm beim Essen zu. »Als Medium war Lao Jong wahrscheinlich ein bisschen überfordert. Er ist normalerweise eher für Bauchschmerzen und Gemüsegärten zuständig. Mit kleinen Problemen wird er ganz gut fertig. Aber gestern Abend ging es buchstäblich um Tod und Teufel. Und damit hatte er keinerlei Erfahrung. Im Gegensatz zu dir.«
Eine dunkle Erinnerung schoss Siri durch den Kopf. Er sah sich selbst, wie er während des Exorzismus die Hände um Tante Suabs Kehle schloss. Er schüttelte den Gedanken ab.
»Ich kann euch ja wohl keine al zugroße Hilfe gewesen sein. Ich war schließlich bewusstlos.«
»Nur dein Körper. Yeh Ming war bei uns. Du hast Lao Jong als Mentor beigestanden. Und für Ruhe gesorgt. Zu zweit habt ihr es schließlch geschafft, den Phibob auszutreiben. (Wieder sah Siri, wie er die Hände um den Hals der alten Dame schloss, aber diesmal hörte er Geräusche: den Gong, Schreie.) Wir haben dafür gesorgt, dass die bösen Geister in keinen anderen Dorfbewohner fahren konnten, auch nicht in deinen Soldaten. Am Schluss hat er geweint wie ein kleines Kind.«
»Und wo sind sie hin, die Geister?«
»Zurück in die Bäume. Sie suchen sich nur selten einen Wirt. Im Dschungel fühlen sie sich wohler.«
»Warum haben sie dich auserwählt?«
»Wegen der Amulette, nehme ich an. Ich empfange von meinen Kunden sehr viel schlechtes Karma. Ich habe oft mit verhexten Talismanen zu tun.
Außerdem haben böse Geister eine Vorliebe für Frauen.«
»Und du wusstest nicht, dass sie in dir waren?«
»Das weiß der Wirt nie. Sie beeinflussen das Unterbewusstsein. Das hier, zum Beispiel.« Sie hielt sich das schwarze Prisma vor die Augen. »Ich hatte keine Ahnung, dass damit etwas nicht stimmte.«
Das Prisma schwang hin und her. Die Eindrücke des vergangenen Abends wurden mit jedem Ausschlag des Pendels lebendiger. Er roch das Bienenwachs der Lampen. Suab setzte sich mit unglaublicher, übermenschlicher Kraft zur Wehr. Niemand kam ihm zu Hilfe. Lao Jong lag bewusstlos am Boden, und aus seinem Mundwinkel sickerte Blut.
Tante Suab sah ihn an. »Was ist?«
»Ich… ich habe Visionen von gestern Abend. Sie wirken so echt.«
»Das wird wohl noch eine Weile andauern. Aber nach al em, was du durchgemacht hast, ist das nur natürlich. Ein Grund mehr, weshalb du das wieder umlegen sol test.« Sie streckte ihm das Amulett hin.
»Anlegen? Aber gerade wegen des Amuletts konnte ich die Geister doch nicht sehen.«
»Nur solange sie in mir waren. Jetzt, wo sie fort sind, ist die Gefahr gebannt.
Der Zauber des Amuletts hat sich ins Gegenteil verkehrt. Das Prisma wird dich vor ihrer Rache beschützen. Hörst du?«
Siri schüttelte den Kopf. Die Geräusche der Zeremonie vom Vorabend durchdrangen die morgendliche Stil e: Die Dorfbewohner skandierten seinen Namen. Ein Frau weinte; es war Lao Jongs Frau, die sich über seinen leblosen Körper beugte.
Die Wärme des Morgens schwand dahin. Eine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben.
»Es wirkt al es so echt.«
»Leg es an,Yeh Ming. Dann wird al es gut.«
»Ich kann nicht. Ich weiß auch nicht, warum, aber ich darf nicht. Hier ist was faul.«
»Du musst mir vertrauen.« Sie verlor al mählich die Geduld. Ihre Stimme wurde tiefer.
»Woher weißt du, dass sie auf Rache sinnen?« Ein winziger Blutstropfen erschien in ihrem Mundwinkel, und plötzlich war Siri al es klar. Nicht die Nacht drang in den Morgen; der Morgen drang in die Nacht. Dass er Suab erdrosselte, war keine Einbildung. Es war Realität. Die weiche Bettstatt, die freundliche Suab und die Suppe waren nichts als Bilder, die ihm der Phibob vorgaukelte.
Die bösen Geister lul ten ihn ein, wol ten ihn schwächen, indem sie ihn dazu brachten, das Amulett anzulegen. Er würgte Suab und trieb ihr die Geister aus. Sie konnten seine Macht nicht brechen. Das Medium hatten sie getötet, aber gegen Yeh Ming kamen sie nicht an. Er nahm eine Hand von ihrem Hals und schlug ihr mit unmenschlicher Brutalität ins Gesicht.
»Hinfort, Phibob. Hinfort.«
Und dann waren sie plötzlich fort, mit einem elektrischen Knistern, das der Luft den Sauerstoff zu entziehen schien. Suabs Körper erschlaffte, und Yeh Ming ließ von ihr ab. Er starrte in die stummen Gesichter der Dorfbewohner, die die Handflächen aneinanderhielten und ihre tränenfeuchten Augen niederschlugen. Seine Arbeit war getan. Langsam sank
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