Colin Cotterill
Stupa« wachte seit Menschengedenken am dreizehnten Tag des zwölften Mondes über ihre aufgeregten Kinder.
Es war das erste Fest seit der Revolution, und es versprach nicht ganz so rauschend zu werden wie sonst. Das neue Regime hatte gewisse »Exzesse«
untersagt, zum Beispiel die beliebten Freak Shows: Dieses Jahr würden weder Ziegen mit fünf Beinen noch Frauen mit drei Brüsten die Massen unterhalten. Und da Alkohol und Glücksspiel verboten waren, würden wohl auch die spontanen Schießereien ausbleiben, von denen man tags darauf gewöhnlich in der Zeitung las. Außerdem hatte die Regierung »Prunk und Pomp« sowie der »übertriebenen Äußerung religiöser Gefühle« den Riegel vorgeschoben. Was nachgerade zwangsläufig die Frage aufwarf, was es dann überhaupt noch zu feiern gab.
Doch die Laoten ließen sich den Spaß so schnel nicht nehmen, und viele erfül te al ein die Aussicht, ihre besten Kleider aus der Truhe holen und sich, in ausgelassener Atmosphäre, unters Volk mischen zu können, mit so großer Vorfreude, dass sie vor lauter Aufregung eine Woche lang kein Auge zutaten.
Die Laotische Patriotische Front verkündete, Laos wol e das diesjährige Fest zum Anlass nehmen, die wirtschaftlichen und kulturel en Errungenschaften des neuen Regimes zur Schau zu stel en. Skeptiker wie Siri fragten sich, wie klein diese Schau wohl ausfal en mochte. Civilai regte an, eine
»Inflationsbude« zu errichten, wo die Kinder Luftbal ons mit der Aufschrift »der laotische Kip« aufblasen konnten. Siri scherzte, man könne natürlich auch die Marionetten aus dem Xieng-Thong-Tempel auftreten lassen, auch wenn man ihnen zuvor ihre reaktionären Schandmäuler zukleben müsse.
Jedenfal s war das That-Luang-Fest das wichtigste Kulturereignis des Jahres, und wegen seiner Staublunge würde Siri es wieder einmal verpassen. Da er erst seit diesem Jahr in Vientiane wohnte, hatte er das Fest noch nie erlebt.
Boua und er hatten davon geträumt, es eines Tages zu besuchen, nach der Revolution. Einer ihrer zahlreichen zerplatzten Träume.
Um sieben wurde Siri ein Anblick zuteil, der noch seltener war als eine Ziege mit fünf Beinen: Ein Klinikarzt im weißen Kittel kam ins Zimmer und zeigte ihm seine Röntgenbilder.
»Dr. Siri.«
»Dr. Veui. Ich habe mich schon gefragt, ob Sie mich viel eicht versehentlich im Lane Xang Hotel einquartiert haben.«
»Na, na. Kein Sarkasmus. Wie Sie wissen, leiden wir unter…«
»Personalmangel. Ja, ich weiß. Aber es wird Sie freuen, dass ich nicht an mangelnder ärztlicher Fürsorge gestorben bin, während Sie sich um wichtigere Patienten gekümmert haben.«
»Ihre Assistentin hat mich über Ihre Fortschritte auf dem Laufenden gehalten.
Wir hatten gestern mehrere Notfäl e und al e Hände vol zu tun. Haben Sie von dem Feuer gehört?«
»Ja. In der Küche, nicht wahr?«
»Dort ist es ausgebrochen, ja. Wir können von Glück sagen, dass es nicht auf die Apotheke übergegriffen hat. Wir haben so schon viel zu wenig Medikamente. Unsere kümmerliche Büchersammlung ist al erdings in Flammen aufgegangen.«
»Wie bitte?«
»Die alte Bibliothek liegt direkt über der Küche. Sie ist völ ig ausgebrannt.
Nichts als Asche und Erinnerungen.«
Während Dr. Veui mit dem Stethoskop Siris Brust abhörte, atmete der Patient so tief wie möglich durch. Aber in Gedanken war er bei der Bibliothek. Wie passte das ins Bild?
Gegen acht kam der erfreulichste Besuch des Tages. Fräulein Vong streckte den Kopf zur Tür herein und lächelte.
»Fräulein Vong. Treten Sie doch näher.«
Aber sie blieb lieber draußen stehen. »Ich habe leider keine Zeit, Dr. Siri. Wie geht’s Ihnen?«
»Es geht.«
»Ich bin furchtbar in Eile. Ich müsste eigentlich längst am Schreibtisch sitzen.«
»Wol en Sie vorher nicht noch rasch im Khon-Khouay-Büro vorbeischauen?«
»Im Khon-Khouay-Büro? Warum?«
»Ich sol te es Ihnen eigentlich nicht verraten, aber es kann ja nicht schaden.
Herr Ketkaew hat Sie neulich im Bildungsministerium gesehen. Als er zurückkam, war er aufgekratzt wie eine Wasserratte und schwärmte von der umwerfenden Frau, die er gesehen hatte. Er wol te wissen, ob ich Sie kenne.
Er war hin und weg. Ich bin zwar kein Experte auf diesem Gebiet, aber ich würde sagen, er ist in Sie verliebt.«
»In mich? Seien Sie nicht albern.« Sie hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »Ich habe Ihnen übrigens ein paar Verehrerinnen mitgebracht.
Manoly und ihre Schwestern wol ten unbedingt sehen, wie es
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