Colin Cotterill
Der Inspektor ist leider nicht im Haus.«
»Mist. Könnten Sie ihm etwas ausrichten?«
»Also, ich weiß nicht, wann er wiederkommt, aber ich kann’s versuchen.«
»Könnten Sie ihn bitten, sich umgehend mit Dr. Siri im Mahosot-Krankenhaus in Verbindung zu setzen? Zimmer 2E. Es ist dringend.«
»Gut. Ich hänge ihm einen Zettel ans Schwarze Brett, aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass er ihn auch sieht.«
»Können Sie ihm den Zettel denn nicht auf den Schreibtisch legen?«
»Schreibtisch?« Der Mann lachte. »Er hat keinen Schreibtisch. Wiederhören, Doktor.«
Siri hielt sich immer noch den stummen Hörer ans Ohr.
»Keinen Schreibtisch?«
Er sank in das unbequeme Kissen zurück und starrte an die blaue Decke.
Zwei Eidechsen balzten oder rangen miteinander. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es in Friedenszeiten weitaus gewalttätiger und chaotischer zuging als im Krieg. Er wurde schläfrig und musste eingenickt sein, denn er wachte erst wieder auf, als Civilai mit Dtui im Schlepptau zur Tür hereinplatzte.
»Du hast hoffentlich gute Gründe, mich durch die halbe Stadt zu scheuchen, kleiner Bruder. Wozu habe ich dir eigentlich ein Telefon… ?«
»Komm her, und setz dich. Sie auch, Dtui. Und seid leise.«
Sie rückten mit ihren Stühlen dicht an Siris Bett. Noch nie hatten die beiden ihn so ernst erlebt, und noch nie waren seine Augen so wässrig-grün gewesen. Er setzte sich auf und schob sich das Kissen in den Rücken.
»Ich werde euch jetzt etwas erzählen, das ihr unglaublich finden werdet. Ich kann es ja selbst kaum glauben. Ihr werdet denken, ich hätte Hal uzinogene geschluckt oder sei von al en guten Geistern verlassen und endgültig der Senilität anheimgefal en. Dabei war ich selten so klar im Kopf wie heute.
Die Langfassung wil ich euch ersparen, denn wenn ich euch wirklich al es erzählen würde, hättet ihr im Handumdrehen die netten Herren in den weißen Kitteln alarmiert. Ich wil mich auf die relevanten Einzelheiten beschränken.«
Er nahm einen Zug Sauerstoff. »Ich sehe schon seit vielen Jahren Dinge.«
»Um Himmels wil en. Nicht schon…«
»Civilai. Nicht. Wenn dir unsere Freundschaft etwas bedeutet, hör dir einfach an, was ich zu sagen habe. Bitte.« Civilai verschränkte achselzuckend die Arme. »Ich sehe die Geister der Verstorbenen. Ich habe keinerlei Einfluss darauf, wann sie kommen oder wie sie mit mir in Verbindung treten.
Trotzdem. In den letzten vierzehn Tagen sind diese Erscheinungen regelmäßiger geworden und, ich weiß auch nicht… stärker, könnte man wahrscheinlich sagen. Ich habe verschiedene Botschaften erhalten.
Ai, du hast mich gefragt, woher ich vom Schwarzen Keiler wusste. Ich konnte es dir damals nicht sagen, weil ich wusste, dass du dich über mich lustig machen würdest, wie immer. Aber ich wusste davon, weil die Vietnamesen mir gesagt hatten, dass diese Leute noch hier sind. Von al ein wäre ich wohl kaum darauf gekommen. Sie haben es mir gesagt.«
Civilai schauderte. »Langsam kriege ich eine Gänsehaut.«
»Dann geht es dir wie mir. Vor einiger Zeit hatte ich einen Traum. Die Vietnamesen beschützten mich. Ein kleiner Junge versuchte, an mich heranzukommen, aber sie schlugen ihn tot. Das Gesicht des toten Kindes löste sich auf, und darunter kam das Gesicht eines alten Mannes zum Vorschein. Denselben alten Mann sah ich in einem anderen Traum in Khammouan. Er verkörperte die bösen Geister, die den Wald zerstörten.
Heute Morgen erst packte mich al ein bei dem Gedanken an den Mann das kalte Grausen.
Und dann trat er ins Zimmer.«
Dtui hauchte seinen Namen. »Major Ngakum. Ich wusste doch, dass was nicht stimmt.«
»Ja, Dtui. Der Major. Ich weiß nicht, warum; ich habe keinerlei Beweise.
Trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass der Major den Widerstandstruppen als Berater dient. Ich bin sicher, dass er hinter der Sache mit den Vietnamesen steckt. Und er ist vermutlich auch derjenige, der mich beseitigen wol te.«
Civilai stand auf und streckte seine alten Beine. »Ich weiß nicht, was ich sagen sol .« Er trat vor den Wandkalender und inspizierte die Daten. Der Kalender war ein Jahr alt. »Das ist ohne Zweifel die absurdeste Geschichte, die ich je von dir gehört habe, und du hast im Lauf der Jahre weiß Gott jede Menge dummes Zeug von dir gegeben. Major Ngakum kämpft praktisch seit seiner Jugend für die Revolution.«
»Ai…«
»Aber ich weiß, dass du es glaubst. Und weil du es glaubst und, nebenbei
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