Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
damit hatten sie die Wurzeln zu ihrer eigenen Menschlichkeit gekappt. Wie bei einer Frau, die im Alter nicht mehr fruchtbar war, hatte ihre biologische Uhr zu ticken aufgehört, und damit war auch ihr Gefühl gestorben, dass sie letztendlich einer lebenden, sich selbst stets erneuernden Spezies angehörten.
Warum hatten sie sich das selbst angetan? Sie waren Imperiale – zumindest waren sie das früher einmal gewesen –, und das Imperium hatte gewusst, dass schon bei einem einzigen Einsatz von einem Vierteljahrhundert Dauer, an Bord eines Schiffes wie der Dahak , dafür gesorgt werden musste, dass dieses Gefühl der Vitalität und der Erneuerung bei der Besatzung nicht verloren ging. Selbst diejenigen, die keine eigenen Kinder hatten, sahen doch die Kinder der anderen, und damit nahmen sie Teil an diesem ewigen Strom ihrer Spezies. Doch das Volk, mit dem Anu sich umgeben hatte, hatte es vorgezogen, genau das zu vergessen, und das verstand Ninhursag ganz und gar nicht.
Hatte diese Unsterblichkeit, die sie geraubt hatten, Kinder bedeutungslos gemacht? Oder hatten sie Angst davor, eine neue Generation heranzuzüchten, die nicht ihre eigenen, verderbten Ziele verfolgte? Oder eine Generation, die sich vielleicht gar gegen sie auflehnen mochte? Ninhursag wusste es nicht. Sie konnte es auch nicht wissen; denn die, die hier in der Enklave geblieben waren, waren zu einer völlig anderen Spezies geworden – zu dunklen, bösartigen Schatten, die sich noch in die Körper ihres eigenen Volkes hüllten und dabei doch etwas völlig Andersartiges waren.
Ninhursag erhob sich, ging langsam quer durch den Park, auf das Gebäude zu, in dem sie, in einer halbherzigen Geste der Aufsässigkeit, ihr Quartier aufgeschlagen hatte, und war sich sehr wohl des Aufsehers bewusst, der ihr wie ein Schatten folgte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sonderlich unauffällig vorzugehen. Aber für Ninhursag war es durchaus praktisch gewesen, genau zu wissen, wo der Wachmann, der den Auftrag hatte, sie im Auge zu behalten, sich jeweils gerade aufhielt.
Träge schaute sie zu all den Terrageborenen hinüber, die sich gerade gemeinsam mit ihr im Park aufhielten, und stellte fest, mit welcher Ehrfurcht diese genau das Gelände beschauten, das ihr selbst so ungeschlacht und unfertig erschien, und zugleich fragte sie sich, wer von denen wohl den Aufzeichnungschip auflesen würde, den sie unter der Bank versteckt hatte.
Abu al-Nasir schaute zu, wie Ninhursag fortging, dann schlenderte er zu der Bank hinüber, auf der sie gesessen hatte. Die hoch aufragende Kuppel, die den ›Himmel‹ dieses Parks darstellte, war schlichtweg atemberaubend, nicht zuletzt wegen des blauen Himmels und der Schäfchenwolken, die tagsüber darauf projiziert wurden. Es war kaum zu glauben, dass man sich unter einer mehrere hundert Meter dicken Schicht aus Eis und Fels befinden sollte. Die Illusion, sich im Freien zu befinden, war fast perfekt, und vielleicht trugen auch die hoch aufragenden, bronzefarbenen Schiffsrümpfe dazu bei, die hinter den Gebäuden zu erkennen waren.
Abu al-Nasir setzte sich, lehnte sich zurück und schaute sich gemächlich nach den Wach-Scannern um, die ihm Colonel MacMahan beschrieben hatte. Und da waren sie auch – ideal positioniert, um die Bank genau zu beobachten, aber nur von vorne. Sehr praktisch!
Er ließ einen Arm sinken, fast genau dorthin, wo er sonst immer sein Holster trug. Sergeant Asnani hatte nie das dringende Bedürfnis verspürt, jederzeit bewaffnet zu sein; Abu al-Nasir kam sich nackt vor, wenn er sein privates Waffenarsenal nicht stets griffbereit hatte. Dennoch war es kaum überraschend, dass die Meuterer ihren Helfershelfern das Tragen von Waffen nicht gestatteten.
Nein, überraschend war das wirklich nicht, und doch betonte es wieder einmal den Unterschied zwischen dem Verhältnis, das sie zu ihren Verbündeten hatten, und ihren Verbündeten auf der einen Seite, und der Art und Weise, wie die Besatzung der Nergal mit ihren eigenen Terrageborenen zusammenarbeitete. Asnani war niemals an Bord der Nergal gewesen; doch er hatte mit den dort lebenden Terrageborenen zusammen trainiert, und er kannte auch Colonel MacMahan. Der Colonel war nun wahrhaftig niemandes Lakai – allein schon dieser Gedanke war absurd! Aber jeder seiner imperialen Verbündeten hätte auch nicht das geringste Problem damit gehabt, wenn er sich hinter ihnen befunden und dabei eine Waffe bei sich gehabt hätte.
Doch al-Nasir war bereits zu dem Schluss
Weitere Kostenlose Bücher