Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
durchgeführt werden konnten, und Klone allein für diese Zwecke zu missbrauchen, war eine Straftat, auf die für alle Beteiligten die Todesstrafe stand. Doch so abscheulich das auch war, wenn man es mit dem Maß des komplizierten, eisernen Ethiksystems der Biowissenschaften des Imperiums bewertete: Das was Anu tatsächlich getan hatte, war noch schlimmer. Als er zu alt zu werden drohte, hatte er einfach nur einen Kandidaten aus der Reihe der immer noch in Stasis befindlichen Meuterer ausgewählt und dann dessen Gehirn durch sein eigenes ersetzen lassen. Solange der Vorrat an Ersatzkörpern noch ausreichte, war er damit praktisch unsterblich.
Das Gleiche galt für seine Unteroffiziere, doch während für Anu und Inanna und ihre engsten Vertrauten nur die Körper von Imperialen gut genug waren, mussten andere – wie Anshar – sich mit terranischen Körpern zufrieden geben. Dabei bestand ein größeres Risiko der Gewebeabstoßung, doch dafür gab es wiederum andere Vorzüge. Die Auswahl war gewaltig, und die Medizintechnik, die Inanna zur Verfügung stand, war – auch wenn sie im Vergleich zu den Möglichkeiten der Dahak sehr eingeschränkt war – durchaus in der Lage, auch auf Terra geborene Körper mit dem Basissatz an biomechanischen Erweiterungen auszustatten.
Colin erschauerte und kehrte in die Gegenwart zurück. Selbst jetzt noch lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter, wenn er daran dachte, was dort geschehen war. Es entsetzte ihn fast ebenso sehr, wie die immer näher kommenden Achuultani Horus entsetzten. Verzweiflung hatte in den Augen des alten Mannes gebrannt, als er erfuhr, dass der alte Feind des Imperiums, an dessen Existenz er nie so richtig hatte glauben können, sich tatsächlich näherte; doch Colin hatte sich bereits seit Monaten an diesen Gedanken gewöhnen können. Das hier war etwas anderes. Diese Tragödie, das, was mit diesen Opfern geschah, das war etwas, das Colin sich vorstellen konnte, eine Tragödie, die sich ausmalen ließ, keine Tragödie galaktischen Ausmaßes, und damit war es etwas, wozu er eine klare eigene Position beziehen konnte: Er verabscheute es zutiefst.
Und vielleicht – das schlug zumindest Horus vor – half es ihm auch dabei, eine Erklärung dafür zu finden, warum Anu weiterhin nur im Verborgenen tätig blieb. Seine Anhänger hatten sich vertrauensvoll in Stasis begeben und konnten sich jetzt nicht gegen ihn wehren; doch es gab einfach zu viele Terraner, als dass er sie einfach hätte nach seinem Gutdünken lenken können, und Colin bezweifelte, dass die Menschheit der Erde es in aller Ruhe hinnehmen würde, wenn sie erführe, dass High-Tech-Vampire sie wie Feldfrüchte abernteten.
Und doch verdeutlichten die entsetzlichen Gräueltaten, die Anu hier beging, nur noch einmal den Unterschied zwischen seinen Fähigkeiten und denen seiner Widersacher aus dem Norden. Die Nergal war ein Kriegsraumer. Dreißig Prozent ihrer Tonnage entfielen auf Antrieb und Energieerzeugung, zehn Prozent auf die Kommandozentrale, weitere zehn Prozent auf die Abwehrsysteme, und vierzig Prozent auf Panzerung, Angriffswaffen und Lagerräume. Damit blieben nur noch zehn Prozent für die Unterkünfte der Besatzung und das Lebenserhaltungssystem, und das bedeutete, dass sogar der Wohnraum äußerst beengt war.
Unter normalen Umständen war das kaum von Belang, denn das Schiff war ohnehin nur für Kurzeinsätze gedacht – gewiss nicht länger als höchstens einige Monate am Stück. Die Nergal verfügte noch nicht einmal über eine anständige Stasis-Anlage; die Mannschaft hatte sich gezwungen gesehen, behelfsweise ein Gerät aus Ersatzteilen zu improvisieren, und das, was sie letztendlich geleistet hatten, grenzte an mehr als nur ein kleines Wunder. Doch weil das Schiff nur für kurze Einsätze gedacht war, hatte man auch ihre Krankenstation nur entsprechend klein bemessen. Anu und seine Schlächter konnten sich die Körper von Terrageborenen aussuchen und sie dann für den jeweils erforderlichen Zweck einsetzen; die Nordstaatler hingegen konnten ihren eigenen auf Terra geborenen Nachfahren noch nicht einmal Implantate anbieten.
Und doch blieb ihnen keine andere Wahl, als diese Nachfahren zur Welt zu bringen, denn ohne sie wären ihre Bemühungen schon vor langer Zeit gescheitert, einfach weil sie zu wenige gewesen waren.
Die Entscheidung war Horus sichtlich schwer gefallen, auch wenn er versucht hatte, diesen Schmerz vor Colin zu verbergen. Horus lebte seit mehr als fünf Jahrhunderten,
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