Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
nach.
»Er kann uns angreifen«, erwiderte Sean. »Er weiß genauso gut wie wir, dass es unsere Gewehre sind, die uns bisher einen Vorteil verschafft haben. Meinst du wirklich, der würde nicht sofort die Chance beim Schopf packen und uns zu einer offenen Feldschlacht zwingen, wenn der Regen uns genau diesen Vorteil nimmt?«
Sandy wollte schon eine scharfzüngige Antwort geben, doch dann hielt sie inne und biss sich auf die Lippen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte Sean einen langen, angespannten Moment den Rücken zu, dann seufzte sie nur.
»Nein«, sagte sie dann, und ihre Stimme war sehr, sehr leise. »Ganz genau das wird er tun, wenn er begreift, was hier gespielt wird.«
»Jetzt hast du es kapiert«, erwiderte Sean ebenso leise und stieß eine Stiefelspitze in den Schlamm neben der leicht angehobenen Straßenbettung. »Und wie man es auch dreht und wendet: Wir haben keine Wahl – wir müssen meinen großartigen Plan durchziehen!«
Kapitel Dreiunddreizig
»Also gut, Jungs – ihr habt Erlaucht Sean gehört! Und jetzt wollen wir diesen Dreckskerlen mal so richtig in den Arsch treten!«
Die Offiziere der Ersten Brigade grollten zustimmend, und Folmak Folmakson grinste voller Kampfeswillen. Er war weit, weit von Klippenend fort, weit fort von den Tagen, in denen er besorgt darauf gewartet hatte, dass die Kirche ihn für seinen Fehler verdammen würde, für sein Bestreben, seine Mühle ein wenig effektiver zu machen, und er war unendlich dankbar dafür. Folmak liebte Gott ebenso wie jeder andere auch. Doch Malagor war seit zwanzig Generationen eine Provinz, die sich in Knechtschaft befand. Und ebenso wie viele andere Malagoraner auch hegte er eine tief verwurzelte Abneigung gegen den Inneren Kreis und die Bischöfe, die als Großgrundbesitzer auftraten und dabei noch nicht einmal auf ›ihrem‹ Grund und Boden lebten. Vater Stomald hingegen … das war mal ein Priester, wie er zu sein hatte, und wenn der Rest des Tempels so wäre wie Vater Stomald …
Aber so war diese restliche Mutter Kirche eben nicht. Folmak sprang in seinen Sattel und überprüfte alle vier Pistolen, bevor er sie in seinen Stiefeln und unter dem erbeuteten Gardisten-Mantel verbarg. Der Regen fiel immer dichter, genau wie Erlaucht Sean sie vorgewarnt hatte. Folmak wies seine Unteroffiziere an, bei jeder einzelnen Pfanne ihrer Gewehre zu überprüfen, ob sie auch wirklich sicher verschlossen war und es auch blieb, bis diese Gewehre gebraucht würden. Seine Leute und er würde immer noch mit einer erschreckenden Anzahl von Versagern rechnen müssen, aber er hatte alles getan, was er nur konnte, um diese auf ein Minimum zu reduzieren.
Er verstaute auch die letzte Pistole und warf dann einen Blick über die Schulter, wartete auf das Zeichen zum Aufbruch. Erlaucht Sean war von seinen Adjutanten umringt, er sprach leise und sehr drängend auf Tibold ein, vollführte mit den Händen kurze, prägnante Gesten, und Folmak erinnerte sich an seinen erstaunten Gesichtsausdruck, als seine Befehle seine Männer zum Jubeln gebracht hatten.
Folmak war nicht erstaunt gewesen, doch Erlaucht Sean hatte sich tatsächlich bei ihnen entschuldigt, als wäre es seine Schuld, dass sie nicht einfach nur herumstehen und abwarten konnten, bis der Regen aufhörte. Genau diese Art des Mitfühlens und der Besorgnis hatte dafür gesorgt, dass die ganze Armee regelrecht vernarrt in Erlaucht Sean war. Zugleich indes wusste jeder Mann, worum es hier ging. Vor allem Folmaks Männer. Folmak führte die Erste Brigade an, die schon jetzt den Spitznamen die ›Alte Brigade‹ abbekommen hatte. Sie bestand aus Männern, die von Anfang an Vater Stomald gefolgt waren. Sie sahen sich als die Elite in der Armee von Erlaucht Sean an, auch wenn die Zweite und die Dritte Brigade ebenso lange dabei waren – und, wie Folmak widerwillig zugeben musste, ebenso gut kämpften. Sie wussten alle sehr wohl, was Erlaucht Sean hier zum Handeln zwang. Jeder Einzelne in der Kolonne wusste, dass sie viel länger als erwartet gebraucht hatten, um Erastor zu erreichen, und doch wussten sie auch, dass nur Erlaucht Sean und Engel Sandy sie überhaupt hierher hatten bringen können. Und die Botschaft der Engel – dass die Männer frei sein sollten, ihr eigenes Leben zu gestalten und Gottes Willen nach eigenem Verständnis auszulegen – hatte in den störrischen Herzen der Malagoraner ein regelrechtes Buschfeuer entfacht. Wenn Erlaucht Sean sie jetzt brauchte, dann waren sie
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