Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
Nicht, dass ich Ihnen prinzipiell würde widersprechen wollen.« Einen Augenblick lang trommelte sie auf die Platte ihres Schreibtisches, dann zuckte sie mit den Schultern. »Geben Sie es an Hauptmann Wadisclaw weiter! Das sieht mir so aus, als würde das in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.«
»Jawohl, Ma'am!«
Hauptmann Jabr nahm den Datenträger mit, und Ninhursag rieb sich die müden Augen, stützte das Kinn in die Handflächen und starrte blicklos die Wand an.
Die immer weiter eskalierenden Angriffe durch das ›Schwert Gottes‹ machten ihr Sorgen. Einer oder zwei davon, wie der auf Gus, hatten sie schwer getroffen, und selbst diejenigen, die nicht derart großen Schaden anrichteten – außer für die, so gab sie mit verkniffenem Gesicht zu, die dabei ums Leben kamen –, erreichten dennoch das klassische Ziel aller Terroristen: Das ›Schwert Gottes‹ bewies damit, dass es in der Lage war, allen behördlichen Gegenmaßnahmen zum Trotz Ziele anzugreifen. In offenen, freiheitlichen Gesellschaften konnte nicht jedes Kraftwerk geschützt werden, jede Transit-Station und jeder Fußgängersteig. Doch jeder, dessen IQ den eines Felsbrockens überstieg, wusste das, und wenigstens diesmal schien die Menschheit ihre Lektion auch gelernt zu haben. Nicht einmal die Intellektuellen wagten jetzt noch zu bemerken, das ›Schwert‹ könne trotz seiner beklagenswerten Taktiken einen berechtigten Grund haben, um den Mitgliedern dieser Terrororganisation eine Art perverser Pseudorespektabilität einzuräumen. Doch solange diese Unmenschen bereit waren, ihre Ziele praktisch rein aufs Geratewohl anzugreifen, konnte kein Fachmann vorhersagen, wo sie als Nächstes zuschlagen würden, und das ›Schwert‹ tötete die Menschen, die Ninhursag beschützen sollte. Und deswegen musste Ninhursag irgendjemanden beim ›Schwert‹ einschleusen, wenn sie dieses Gesindel jemals würde aufhalten wollen.
Wieder verzog sie das Gesicht, denn die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, erinnerten die Geheimdienstchefin an die einzige Agentin, die sie jemals in das terroristische Netzwerk hatten einschleusen können . Janice Coatsworth hatte vor der Belagerung für das FBI gearbeitet, und Gus war hocherfreut gewesen, sie für den FND zu gewinnen. Sie war eine seiner Besten gewesen – eines seiner ›Asse‹, wie er sie zu nennen pflegte –, und sie war am gleichen Tag gestorben wie er. Irgendwie hatten die vom ›Schwert‹ sie enttarnt, und das, was von ihrer Leiche noch übrig gewesen war, hatten sie am gleichen Tag in Gus' Vorgarten ausgebreitet, wo sie auch ihn, seine Frau und zwei ihrer gemeinsamen vier Kinder ermordet hatten. Vier Angehörige der Sicherheitskräfte, die zu seinem Schutz abgestellt gewesen waren, hatten ebenfalls den Tod gefunden; zwei der vier hatten die beiden Kinder, die überlebt hatten, mit ihren eigenen Körpern geschützt.
Ninhursags Augen waren viel kälter und härter, als Hauptmann Jabr es jemals erlebt hatte. Wenn es irgendjemanden gäbe, den man als ›legitimes Ziel‹ einer terroristischen Vereinigung ansehen konnte, dann war das zwar gewiss der Leiter der Sicherheitskräfte des Gegners. Dennoch war Ninhursag ebenso entsetzt über diesen Angriff gewesen wie alle anderen auch. Tatsächlich hatte der Van-Gelder-Mord zu einer Neubewertung der Möglichkeiten geführt, die dem ›Schwert‹ offenstanden, denn Gus hatte unter sehr scharfer Bewachung gestanden. Diese Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, musste genaueste Planung erfordert haben.
Ninhursag kaute auf ihrer Unterlippe herum und sinnierte wieder einmal über eine Frage, die sie sich immer und immer wieder stellte: Warum ging das ›Schwert‹ so uneinheitlich vor? Am einen Tag verübten sie ein völlig sinnloses Massaker an wehrlosen Arbeitern eines Kraftwerks und hinterließen quer über das Land Spuren, am nächsten Tag führten sie einen unglaublich präzisen Angriff auf ein unter höchster Bewachung stehendes Ziel durch und ließen die gesamte Spurensicherung ratlos zurück. Ninhursag wusste, dass das ›Schwert‹ in zahllose Zellen aufgespalten war, aber besaß das ›Schwert‹ auch eine gespaltene Persönlichkeit? Und woher hatte ein Haufen wild gewordener Irrer, die so schwerfällig und plump vorgingen wie bei diesem Angriff auf das Kraftwerk, überhaupt eine so klare, präzise Zellorganisation? Jeder, der so etwas auf die Beine stellen konnte, war auch in der Lage, seine Ziele deutlich effektiver auszuwählen und diese dann auch
Weitere Kostenlose Bücher