Collector’s Pack
überhaupt jedes andere Geräusch zu verschlucken. Vor den hohen Fenstern war es jetzt fast dunkel, die goldenen Leuchter an den Wänden warfen ein schattenloses Licht, das die Zeit aus den Gängen saugte. Suite 306 lag am Ende des Korridors. Der Scheich nahm seine Sonnenbrille ab und ließ einen seiner Leibwächter anklopfen. Fast umgehend wurde die Tür geöffnet. Al Husseini erkannte Monsignore Cardona, den Privatsekretär des Papstes, von den Fotos wieder.
»Scheich al Husseini!«, begrüßte ihn Cardona ohne die Spur eines Vorwurfs für die Verspätung. »Wie schön, dass Sie es einrichten konnten. Seine Heiligkeit erwartet Sie bereits.«
Der spanische Prälat ließ den Scheich und seine Leibwächter eintreten und bot ihnen Plätze im Empfangssalon der Suite an. Die Bodyguards verteilten sich im Raum. Hassan stellte sich an die Tür, Muhammad blieb in der Nähe des Scheichs. Al Husseini sah sich flüchtig in dem Salon um. Auf einem kleinen Tischchen vor der Sitzgruppe standen Tee, Fruchtsäfte, getrocknete Feigen und arabisches Mandelgebäck bereit. Al Husseini nahm einen schwachen Duft von Zimt, Lavendel und Veilchen wahr.
»Seine Heiligkeit wird sofort bei Ihnen sein, Scheich«, erklärte der Monsignore.
»Was ist mit Kaplan?«, fragte al Husseini.
»Wir erwarten ihn noch.«
»Hat der Hund etwa doch zugesagt?«
»Aber natürlich.« Der Spanier deutete auf das Couchtischchen. »Möchten Sie etwas trinken, Scheich?«
Al Husseini winkte ungeduldig ab. »Ich habe nicht viel Zeit.«
»Nur eine Sekunde«, versprach der Prälat und verschwand mit einer angedeuteten Verbeugung im Nebenraum, aus dem keinerlei Geräusche herausdrangen. Der Scheich setzte sich und merkte, dass die Gereiztheit, die ihn im Aufzug befallen hatte, wuchs. Zu etwas Beunruhigendem anschwoll, das er sich kaum eingestehen mochte. Etwas Großes, Dunkles zog aus dem Teppichboden herauf, wie ein seltsamer Dunst, breitete sich zu seinen Füßen aus, zog durch die Haut in seine Beine, stieg höher und höher hinauf, immer weiter, und erfüllte ihn bald ganz und gar. Al Husseini spürte, dass er schwitzte. Er dachte wieder an die Warnung von Franz Laurenz und verfluchte sich plötzlich dafür, nicht auf ihn gehört zu haben. Hassan und Muhammad schienen ebenfalls zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Sie wirkten angespannter als gewöhnlich und sahen ihn immer wieder an, als erwarteten sie sein Kommando zum Rückzug. Rückzug . Eines der drei Worte, die der Scheich hasste: Rückzug, Feigheit, Armut. Wie lange war der Monsignore schon weg? Eine Minute? Fünf? Eine Stunde? Der Scheich befühlte die vor ihm stehende Teekanne. Sie war noch heiß.
Endlich entschloss sich Scheich Abdullah ibn Abd al Husseini, dem inzwischen überwältigenden Fluchtimpuls nachzugeben. Aber es war bereits zu spät.
Denn als er sich von der Tür zu dem Nebenraum abwandte, waren seine beiden Leibwächter verschwunden. Einfach weg. Gleichzeitig bemerkte der Scheich eine Veränderung des Lichts und der Temperatur. Es war kühler geworden, und der seltsame, unwirkliche Dunst zu seinen Füßen erfüllte den ganzen Raum. Al Husseini wollte von seinem Sessel aufspringen, aber es gelang ihm nicht. Er konnte sich zwar bewegen, doch fühlte sich sein Körper schwer und zäh an, als sei er mit Tonnen eines öligen Breis gefüllt, der jede Bewegung zur anstrengenden Qual machte. Selbst zu schreien gelang ihm nicht, als sich nun die Tür zu dem Nebenraum öffnete und der Papst eintrat. Statt der weißen Soutane trug er eine weiße Mönchskutte, und statt des Kreuzes eine goldene Kette mit einem Medaillon, auf dem ein doppeltes Kreissymbol zu erkennen war. Der zähe Brei in seinem Körper schlug auch auf das Sehvermögen. Scheich al Husseini konnte das Gesicht des Papstes unter der Kutte kaum erkennen. Es trug menschliche Züge, die ihm von den Fotos vage bekannt vorkamen, doch je näher der Papst nun trat, desto mehr verschwammen diese Gesichtszüge, wurden durchscheinend und lösten sich gänzlich auf, als der Papst vor ihm stand und sich über ihn beugte.
»Hoathahe Saitan«, sagte der Papst. Seine Stimme klang heiser und wie aus großer Tiefe. Šatana – weit entfernt. Als spreche da jemand anderes aus ihm.
Scheich Abdullah ibn Abd al Husseini erwartete den Tod, und als Mann des Glaubens empfahl er sich in die Hände des Allmächtigen. Er betete stumm die Šhahāda , das Glaubenskenntnis.
»Ašhadu an lā ilāha illā ‚llāh, wa-ašhadu anna muḥammadan rasūlu
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