Collector’s Pack
bequemen Sessel. Der Arzt bat ihn leise, seinen rechten Arm frei zu machen.
»Sitzen Sie bequem?«, fragte Nakashima hinter dem Mann, der die Videokamera aufbaute. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Alles in Ordnung. Wir können loslegen.«
»Schließen Sie die Augen«, sagte der Arzt. »Denken Sie an ein positives Erlebnis in Ihrem Leben. Versetzen Sie sich an einen Ort, an dem Sie sich wohl gefühlt haben.«
Nichts leichter als das. Peter stellte sich den Klostergarten der Abtei von Subiaco vor. Den starken Duft, mit dem die Kräuter die warme Vormittagsluft anfüllten. Den roten Kater, der sich genussvoll im Beet räkelte.
Du hättest nach seinem Namen fragen sollen.
Seltsamerweise erschien ihm der rote Kater plötzlich wie ein vertrautes und mit dem Schicksal vereinbartes geheimes Zeichen, dass alles gut werden würde. Er dachte an Vito, den ›Apostolischen Kater‹ im Vatikan und versuchte, sich zu erinnern, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Es war noch nicht lange her.
Du wirst es gleich wissen.
»Wir lassen Sie jetzt allein.« Nakashimas Stimme.
»Viel Glück, Peter.« Bühler.
Etwas Schönes. Peter dachte an Maria, an ihr kurzes Gespräch im Klostergarten, an die Wärme ihrer Hand und die Wärme, die von ihrem ganzen Körper ausgestrahlt war. Daran, dass er ihr noch etwas Wichtiges hatte sagen wollen, bevor …
»Entspannen Sie sich, Peter!« Die Stimme des Arztes im Hintergrund. »Wenn es Ihnen schwerfällt, an etwas Schönes zu denken, dann vielleicht lieber an ein neutrales Ereignis.«
Aber was war schon noch neutral in seinem Leben. Peter flog in der Zeit zurück, sah Ellens Gesicht vorbeihuschen und landete plötzlich im Frühstücksraum eines Businesshotels in Chicago. Drei Jahre war das her. Eine Reportage für Courier-Online über den Bischof von Chicago, der größten Diözese der Welt, und seine Verstrickungen in einen Finanzskandal. Der Morgen vor dem Interview. Der Innenhof des Hotels mit dem kleinen Brunnen. Das Plätschern des Wassers, das Klappern des Geschirrs an den Nebentischen. Die Vorfreude, jemanden in die Ecke zu treiben. Ein guter Tag. Touristen, Geschäftsleute, Journalisten, die am Büfett anstanden, auf trockenes Rührei warteten oder Waffeln in Ahornsirup ertränkten.
Das ganz normale Leben. Es läuft weiter ohne dich. Konnte leider nicht mehr auf dich warten, sorry. Hat dich abgeschrieben.
Das Leben plätscherte gleichmütig vor sich hin wie der Brunnen im Hof. Menschen aßen Rührei, bekleckerten sich mit Ahornsirup, gingen zur Arbeit, wurden geboren oder starben, stöhnten in ihren Krankenbetten, kauften Lotterielose, stritten sich am Telefon, schliefen miteinander, brachten ihre Kinder zur Schule, schwatzten mit der Nachbarin, fütterten ihre Katzen, aßen, tranken, urinierten, putzen sich die Zähne, warteten auf Züge und auf bessere Nachrichten.
Oder bereiteten sich vor, sich zu erinnern. Und hofften, irgendwann noch einmal in die normale Welt der kleinen und großen Freuden, Alltäglichkeiten, Ärgernisse, Verspätungen, Verabredungen, Kinobesuche, Familienfeiern, Sportverletzungen, Faulheiten, Ausflüge und zärtlichen Berührungen zurückkehren zu dürfen.
Der Arzt setzte ihm die Spritze. Eine kurze Injektion nur, kaum schmerzhaft. Peter stellte sich vor, wie das Mittel durch seine Venen gepumpt wurde. Wie es sein Herz erreichte, seine Lungen flutete und dann weiter hinauf, mühelos die Blut-Hirn-Schranke passierte und einen neuronalen Kern in den Tiefen seines Gehirns. Das limbische System, hatte der Arzt ihm erklärt, sei die entscheidende Schaltzelle.
Dein Limbus, in dem alles feststeckt.
Und dann spürte Peter, wie sich etwas veränderte. Es war anders als sonst bei seinen Migränen. Kein Schmerz, keine Agonie, keine albtraumhaften Bilder. Sie kamen einfach nur zurück.
Die Erinnerungen.
Alle.
Die Tür ging auf, das Wasser wurde klar, der Abgrund füllte sich, der Staub hob sich, die Fesseln lösten sich, die Linie verband die Punkte. Etwas, das verhakt gewesen war, sprang knackend zurück in seine ursprüngliche Form. Die Gleichung ergab eine Lösung.
Film ab!
XLV
11. Juli 2011, Rom
D as Böse, die Infektion der Welt, hatte lange gewartet. Geduldig, dumpf, unwandelbar, unzerstörbar. Ewig. Es war gewachsen, angeschwollen wie ein verwesender Körper, war zerflossen und hatte sich unter der dünnen Kruste der Erde ausgebreitet wie ein gigantischer, weltumspannender Pilz. Es gab keinen Schutz. Die Siegel der Gnade, mit denen die Mh’u es einst
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