Collector’s Pack
fragte Cardona neben ihm misstrauisch, als könne er seine Gedanken lesen. Sofort dichtete Petrus II. seinen Verstand wieder ab wie ein altes Gefäß mit dem halb vertrockneten Rest eines rettenden Balsams. Er ließ sich Zeit mit der Antwort und blickte weiter auf die Ewige Stadt hinab, die unter einer dräuenden Glocke aus Dunst, Hitze und Kopfschmerz lag. Für einen Moment hatte Petrus II. so etwas wie ein Déjà-vu. Als ob er in einem anderen Leben schon einmal von einer Festung auf eine Stadt in flirrender Hitze hinabgeblickt hätte.
In einem Augenblick hatte sich alles verändert. Petrus II. hatte es bereits vor dem Anruf von Laurenz gespürt. Ein leises Knacken der Halswirbel, eine Entspannung der Muskeln, eine kaum merkliche Abnahme des Drucks. Ein Knoten war geräuschlos geplatzt, ein Klumpen geschmolzen, der Schmerz floss ab. Der Schleier hatte sich ein Stück gehoben, genug, um etwas Licht in den dunklen Raum fallen zu lassen in dem er herumtaumelte wie ein Blinder. Für einen Augenblick gab es wieder eine Richtung.
Auf dem Weg durch den Passetto di Borgo zur Engelsburg hatte er rasch seine Optionen abgewogen. Viele blieben nicht, wenn man die Situation nüchtern betrachtete. Der Löwenmann war tot. Wie auch immer das hatte geschehen können – es gab keine andere Erklärung. Die Verbindung war abgerissen. Dennoch konnte Petrus II. seinen Dämon immer noch spüren, konnte ihn keuchen und knurren hören wie ein verwundetes Raubtier. ES war immer noch da. Das Uralte. Das Böse. ES war angeschlagen, irgendetwas hatte ES zurück in die Tiefe geschleudert, aber selbst der Tod des Löwenmannes hatte ES noch nicht vernichtet. Man musste vorsichtig sein und entschlossen handeln.
»Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen, Cardona«, sagte der Papst, ohne sich umzuwenden. »Noch ist nicht alles verloren.«
Sie standen allein auf der Dachterrasse der Engelsburg, direkt unter dem Heiligen Michael mit dem gezogenen Schwert, und warteten auf Franz Laurenz. Seit dem Anschlag auf den Petersdom war die Engelsburg für Touristen gesperrt, da Petrus II. die Festung zukünftig wieder als Amtssitz nutzen wollte.
»Ich glaube immer noch nicht, dass der Löwenmann tot ist.«
»Sie werden doch jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken wollen, Cardona.«
Schatten des Zorns und der Demut flogen rasch über Cardonas Gesicht nach dieser Zurechtweisung. Sein Handy piepte. Der Monsignore sah kurz auf das Display.
»Er ist da. Er ist bewaffnet.«
»Lassen Sie ihn durch. Geben Sie mir die Waffe.«
Cardona reichte ihm die Walther P99 aus dem Arsenal der Schweizergarde. »Ich kann das für Sie erledigen, Meister. Ein Zeichen von Ihnen und Laurenz ist tot.«
»Trauen Sie mir etwa nicht?«
Cardona schwieg brüskiert.
»Geduld, Cardona«, beruhigte ihn der Papst und hielt die Waffe locker in der ausgestreckten Hand. Laurenz sollte sie sehen. »Hören wir uns erst an, was er anzubieten hat. Ist alles vorbereitet?«
»Ja, Meister. Die Maschine ist startklar.«
Petrus II. nickte und sah die große Gestalt seines Vorgängers mit einem blanken Krummschwert auf die Dachterrasse treten.
»Wie ich sehe, ist Vertrauen jedenfalls nicht die Basis dieses Gesprächs«, sagte der Papst und richtete die Waffe auf Laurenz, der ungerührt näher trat.
»Keinen Schritt weiter!«
Laurenz blieb stehen. Er zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht.
»Haben Sie wirklich geglaubt, dass ich mich auf einen Schwertkampf mit Ihnen einlasse? Das hatten wir doch schon mal.«
»Ich werde auch nicht Sie damit töten«, erklärte Laurenz ruhig. »Sondern Monsignore Cardona.«
Aus dem Augenwinkel sah Petrus II., wie der Spanier kurz zuckte und in die Tasche seiner Soutane griff. Natürlich war auch er nicht unbewaffnet.
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Cardona leise.
Petrus II. hielt die Waffe weiterhin auf Laurenz gerichtet. »Stimmt«, sagte er, wandte sich zu dem Prälaten um und schoss ihm aus nächster Nähe in den Kopf.
Die heiße Mittagsluft zerplatzte und schloss sich wieder träge.
Der Schuss knirschte durch den wolkenlosen römischen Himmel und vertrocknete irgendwo über den Dächern der Ewigen Stadt.
Monsignore Cardona wurde von der Wucht des Geschosses umgerissen und stürzte der Länge nach zu Boden. Um seinen Kopf bildete sich eine Blutlache. Im gleichen Moment spürte Petrus II., wie ein Hochgefühl ihn überflutete, wie sein Dämon sich brüllend in ihm erhob. Der Dämon liebte das Töten. Er machte keinen Unterschied, wen es
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