Collector’s Pack
Stöhnend presste er eine Hand auf die Wunde. Dann versuchte er, sich aufzurichten. Aber kaum hatte er sich ein wenig aufgestützt, brach er wieder zusammen. Keuchend verschnaufte er, hustete blutigen Schleim. Aber sein Wille trieb ihn nun eisern an. Der Wille eines Mannes, der das größte Unternehmen der Welt aufgebaut und für einen Moment den Traum geträumt hatte, diese Welt von dem zu erlösen, was er für ihr größtes Übel hielt: Religion.
Maria sah, wie Nakashima sich Stück für Stück über den Fußboden zu der kleinen Küchenzeile robbte. Quälend langsam. Die blaue Leuchtdiode auf dem Tisch strahlte immer heller. Nicht mehr lange und die Energiemenge würde reichen, um die Kettenreaktion auszulösen.
Nakashima hatte jetzt die Küche erreicht. Keuchend zog er sich an einer der beiden Schubladen hoch, versuchte, sie aufzuziehen. Sie hakte. Maria stöhnte auf. Das verdammte Ding klemmte! Nakashima versuchte es weiter, rüttelte mit letzter Kraft an der Schublade. Bis sie endlich nachgab und mit einem Ruck herausfiel. Billiges Besteck, Flaschenöffner und uralte Küchenmesser regneten auf Nakashima herab. Die Schublade traf ihn am Kopf. Nakashima stieß einen dumpfen, gequälten Laut aus. Dann tastete er nach dem erstbesten Messer und robbte zurück zu Maria. Als er ihr das Messer reichte, konnte sie es kaum fassen.
»Danke«, flüsterte sie.
»Machen Sie schnell«, flüsterte Nakashima. »Holen … Sie mich hier raus.« Damit brach er erschöpft zusammen.
»Gib mir das Messer!«, sagte ihr Vater. Maria ruckelte bereits ihren Stuhl näher an seinen heran und versuchte, seine Kabelbinder zu zerschneiden. Nicht leicht mit gefesselten Händen. Sie rutschte ab und verletzte ihren Vater an der Hand.
»Scheiß drauf, mach weiter!«, keuchte er.
Verzweifelt arbeitete sie weiter. Das Messer war nicht scharf genug, rutschte ihr aus der Hand und fiel klappernd zu Boden. Maria fluchte.
Nakashima hatte das Geräusch gehört, tastete neben sich und reichte ihr die Klinge. Verbissen versuchte Maria es erneut. Sie stieß einen gepressten Triumphlaut aus, als sie den ersten Kabelbinder geschafft hatte. Sofort nahm ihr Vater ihr das Messer ab und zerschnitt die Kabelbinder, mit denen Marias Hände gefesselt waren. Nicht einfach, denn das Plastik war stabil, und das Messer nicht besonders scharf. Laurenz fluchte. Als er es schließlich geschafft hatte, zerschnitt Maria ihre Fußfesseln und befreite dann ihren Vater.
»Raus hier!«, rief ihr Vater gepresst, rieb sich seine gequetschten Handgelenke und versuchte dann, Nakashima aufzuhelfen.
»Ich schaff’s nicht mehr, Laurenz«, keuchte der Japaner. »Verschwinden Sie!«
»Nicht reden! … Maria, hilf mir!«
Sie packten den Japaner unter den Armen. Zu zweit schafften sie es schließlich, Nakashima auf die Beine zu bringen.
»Die Hand auf die Wunde pressen!«, sagte ihr Vater.
Nakashima zitterte, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Dennoch schleiften sie ihn verbissen Schritt für Schritt weiter zur Tür.
Draußen erwartete sie Cresswell.
Maria sah, wie er aus seinem Pick-up ausstieg und langsam auf sie zukam. In seinem rechten Handstumpf hielt er ein Messer. Maria schloss die Augen und betete zur Heiligen Jungfrau.
»Sie haben’s schon, also, geschafft«, sagte Cresswell, als er vor ihnen stand. »Das ist gut. Kommen Sie. Also, wir müssen uns beeilen.«
Er nahm ihnen Nakashima ab, als koste ihn das keinerlei Mühe und schleppte ihn zum Wagen. Maria sah ihren Vater fragend an. Er wandte sich wortlos ab und folgte Cresswell eilig.
Sie betteten Nakashima auf die Ladepritsche und stiegen dann eilig in den Wagen. Cresswell gab Vollgas, bretterte schlingernd durch den weichen Inselsand los, im Zickzack durch die spärlichen Bäume, vorbei an der Grube und weiter auf den Damm zu. Maria staunte, wie sicher Cresswell das Lenkrad mit seinen Handstümpfen halten konnte.
»Ich konnte, also, nicht eher kommen«, rief er ihnen zu. »ER hätte es sonst gemerkt.«
Maria schwieg. Auch ihr Vater sagte kein Wort, blickte nur starr geradeaus und drückte ihre Hand. Cresswell steuerte den Wagen mit Vollgas über den Damm aufs Festland. Als sie die asphaltierte Straße erreichten, beschleunigte der alte Wagen noch einmal. Maria wandte sich um. Durch die Heckscheibe konnte sie Nakashimas Gestalt sehen, der auf der Pritsche hin und her schlingerte. Und sie konnte die Insel sehen. Sie lag da, still und freundlich, wie ein abgeschiedener Ferienort.
Und explodierte.
Maria
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