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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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ihrem Liktor zu einem niedrigen, halb verfallenen Haus auf dem Palatin. Keine gute Gegend für eine Vestalin: enge, stinkende Gassen und verwinkelte Treppen, in denen sich die Ärmsten der Armen herumdrückten und Verbrechen und Krankheiten ausbrüteten. Als sie Aemilia sahen, bettelten sie sie sofort an. Der Liktor scheuchte sie rüde zurück, aber Aemilia beruhigte ihn mit einer Handbewegung, ging auf eine alte blinde Frau zu und segnete sie. Dann verschwand sie in dem Haus. Der Liktor folgte ihr.
    Marcus Corvus drückte sich hinter einen Brunnen. Zögerte. Behielt das Haus im Auge. An der Hauswand bemerkte er eine eingeritzte Spottzeichnung gegen einen Aberglauben, der in der Stadt wie eine Seuche grassierte. Ein Mensch vor einer gekreuzigten Eselsgestalt. Darunter stand auf Griechisch: ΑΛΕΞΑΜΕΝΟC CEBETE ΘΕΟΝ – Alexamenos betet Gott an
    Corvus wusste nicht viel über diese Sekte, die vor allem von den Griechen und den Armen enormen Zulauf erhielt. Nur, dass sie einen erbärmlichen Gott anbeteten, einen äußerst schwachen Gott, einen Esel, der am Kreuz verreckt war. Einen judäischen Rebell wie Shimon Bar Kokh. Marcus Corvus kannte die Sorte. Aber als er wieder an Shimon Bar Kokh dachte, dessen Leiche er mit seinen Leuten auf einen Pfahl gespießt und dann geschächtet hatte, wie es die Juden mit ihren Ziegen machten, kehrten die Kopfschmerzen zurück, schlimmer als zuvor. Marcus Corvus, der Mörder, schleppte sich in den Schatten eines Hauseingangs und übergab sich. Keuchend beschimpfte und verfluchte er sich, wie er es früher bei seinen Legionären getan hatte, um ihnen jeden Anflug von Schwäche und Zaudern auszutreiben. Mühsam richtete er sich auf, entschlossen, den Auftrag zu Ende zu bringen, zum Töten und zum Sterben bereit. Legat befiehl, wir folgen dir. Nur dieses eine verdammte Mal noch. Doch der Zweifel fraß sich unerbittlich weiter vor zu seinem Herzen, und je mehr er versuchte, sich auf die Handgriffe des Mordens zu konzentrieren, desto mehr wurde ihm klar, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Aemilias kleiner, ernster Gestalt ab. Er fragte sich, was eine Vestalin bei den Christos-Anhängern zu suchen hatte. Und gegen seine Gewohnheit fragte er sich nun doch, warum ausgerechnet sie sterben musste.
    Er hielt das Warten nicht länger aus, löste sich aus dem Schatten des Brunnens und trat in das Haus ein. Er folgte einem murmelnden Gesang in einen kleinen Hof im hinteren Teil des Gebäudes. Dort hatten sich etwa vierzig Menschen versammelt. Sie saßen um Aemilia herum, die ihren Kapuzenumhang abgelegt hatte und wieder in der weißen Tracht einer Vestalin vor ihnen stand. Aber was sie tat, hatte nichts mit dem Vestakult zu tun. Marcus Corvus beobachtete sie aus dem Hintergrund. Sie wirkte strahlend und ernst. Ein Kind noch, aber jede ihrer Gesten wirkte uralt und mächtig. Um den Hals trug sie eine Art Amulett aus einem blauen Stein. In der einen Hand hielt sie einen Kelch mit Wein und in der anderen einen Laib Brot. Sie sprach mit leiser Stimme, erzählte von einem galiläischen Rabbiner, der am Kreuz gestorben war und sein Fleisch und sein Blut für alle Menschen hingegeben habe. Noch elf Jahre nach seiner Auferstehung habe er seine Jünger gelehrt. Aemilia sprach auch von Yeshuas Frau Mariham, der All-Begnadeten, der Geist-Erfüllten, der Reinen, der Erbin des Lichtreichs. Aemilia sprach von der Liebe Gottes. Von Vergebung. Erlösung. Auferstehung. Die versammelten Menschen, die offenbar nur gekommen war, um Aemilia zu sehen, hörten ihr ergriffen zu und murmelten leise »Amen«, sobald Aemilia innehielt. Zwischendurch sang das blasse Kind mit leiser, durchdringender Stimme in einer Sprache, die Marcus Corvus nicht verstand. Aber es waren auch nicht so sehr die Worte, die ihn erreichten, sondern die Kraft, mit der dieses Mädchen sprach, und die sich in ihm ausbreitete wie ein warmes Licht.
    Marcus Pinarius Corvus, Ex-Legionär und Mörder, fühlte plötzlich Frieden und schmerzhafte Sehnsucht in sich aufsteigen. Die Gewissheit, endlich angekommen zu sein. Er erinnerte sich wieder an einen dunstigen Nachmittag in Jerusalem, an einen alten Rabbiner, den er vor den Augen seiner Familie getötet hatte, weil er einen von Shimon Bar Kokhs Leuten versteckt hatte. Corvus erinnerte sich wieder an den Blick des Alten, während er ihn getötet hatte. Diesen Blick voller Milde. Mit seinen letzten Worten hatte der Alte ihm noch vergeben, und

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