Collector’s Pack
mit groben Holzbänken und einer L-förmigen Theke aus Marmorplatten, in die Amphoren für Wein und Oliven eingehängt waren. Jetzt um die Mittagszeit füllte sich der kleine Schankraum mit Gästen, die draußen keinen Platz mehr gefunden hatten. Zwei Prätorianer prahlten damit, wie viele Menschen sie schon getötet hatten, und scherzten mit der Tochter des Wirts, einer üppigen trakischen Schönheit. Der eine griff ihr rüde an die Brüste. Das Mädchen sah kurz hinüber zu ihrem Vater. Auf ein Nicken des Wirtes verschwand sie mit dem Gardisten hinter einem Vorhang im hinteren Teil des Raumes und stieg mit ihm die steile Holztreppe hinauf zum Hängeboden über dem Schankraum, wo die gesamte Wirtsfamilie lebte. Kurz darauf hörte man von oben das rhythmische Ächzen eines einfachen Bettes und das Stöhnen des Prätorianers. Sein Kamerad lachte. Marcus Corvus schloss die Augen. Als der Prätorianer wenig später wieder herunterkam, zahlte er acht Asse für das Mädchen. Ein Krug billiger Wein kostete genauso viel.
»Schläfst du etwa?«
Corvus schlug die Augen auf und sah den Verwalter vor sich, einen kahlköpfigen Mann im gleichen Alter mit schwammigen Gesichtszügen. Seine Augen waren so kalt, wie die von Corvus einst gewesen waren. Der hervorstechendste Unterschied zwischen den beiden Männern bestand in ihrer Kleidung. Während Corvus nur eine verdreckte Tunika trug, war der Verwalter mit einer kunstvoll gefalteten Toga bekleidet, die seinen hohen Stand auswies.
»Hör auf zu saufen, du Schwein«, zischte der Verwalter. »Wenn du betrunken bist, versaust du es noch. Hörst du? Ich kriege jederzeit jemand anderen für diese Angelegenheiten.«
Corvus sah den Verwalter müde an. »Das ist ohnehin das letzte Mal.«
Der Verwalter kniff die Augen zusammen. »Und dann? Was willst du dann machen, du erbärmlicher Krüppel?«
»Dann töte ich dich .«
Der Verwalter schwieg erschrocken.
Corvus trank von seinem Wein. »Also, wer ist es?«
Der Verwalter beeilte sich, denn er wollte nicht gerne mit Corvus gesehen werden. Er nannte einen Namen und die Beschreibung, wo die Person zu finden war. Marcus Corvus verzog keine Miene, als er hörte, um wen es sich handelte. Er blieb noch einen Moment sitzen, nachdem der Verwalter verschwunden war, und kämpfte gegen die Übelkeit an.
Als er wieder auf die Straße trat, umbrandete ihn sofort der Lärm. Die Straße war voller Menschen aus allen Provinzen des Reiches, die sich hastig aneinander vorbeidrängten. Verkaufsstände, Fliegende Händler, Wasserträger, Maultiere, Sklaven mit schweren Ölamphoren, Schlangenbeschwörer und die Bänke der Tavernen verstopften die Straße. Selbst auf den Bürgersteigen war kein Durchkommen. Ein Trupp Vigiles auf Patrouille nach möglichen Brandherden verschaffte sich brutal Platz und wich erst aus, als zwei vornehme Patrizierinnen ihnen auf Tragesesseln entgegenkamen. Über allem lastete der penetrant säuerliche Geruch der Gassen vermischt mit dem Gestank der öffentlichen Toiletten und dem scharfen Dunst aus den allerorts aufgestellten Urin-Amphoren der Gerber, wo die Männer im Vorbeigehen ihr Wasser abschlagen konnten. Was Corvus jedoch am meisten zusetzte, war der Lärm. Das Geschrei der Händler, das Gekreische streitender Weiber, das Gedengel der Kupferschmiede, das Gejammer der Bettler, die Rufe der Händler und Geldwechsler, das Jaulen arabischer Flöten und das Krakeelen der Fanatiker des Bellona-Kultes. Überall Lärm. In seinem Kopf schrie ein Dämon, und draußen schrie – Rom. Marcus Corvus verfluchte sich jeden Tag dafür, dass er in seine Geburtsstadt zurückgekehrt war, anstatt sich zur Entlassung ein kleines Landgut schenken zu lassen. Der Tod war allgegenwärtig in Rom. Nachts lag die Millionenstadt in völliger Dunkelheit, organisierte Banden durchstreiften ungehindert mordend und plündernd die Gassen. Jeder, der dann noch ohne Schutz auf die Straße ging, riskierte sein Leben. Tagsüber ging das Morden im Amphitheatrum Flavium weiter, wo Gladiatoren sich vor bis zu fünfzigtausend Zuschauern massakrierten, wo Tausende von Verurteilten gepfählt, verbrannt, gevierteilt und von exotischen Raubtieren zerfleischt wurden. Rom war eine Stadt des Todes, und Corvus war ihr Prophet.
Er musste nicht weit gehen. Der Ort, den ihm der Verwalter genannt hatte, lag ganz in der Nähe des Forums.
Vor dem Eingang des Tempels der Vesta angekommen, hockte sich Corvus auf einen Mauervorsprung und wartete. Aus dem runden Tempel quoll
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