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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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braucht keine Gestalt, und daher sollst du dir auch kein Bild von ihm machen, Ramosis.«
    Folglich gab es im Tempel auch kein Kultbild. Das Heiligtum war eine Abfolge von offenen Höfen,die durch reich mit Reliefs dekorierte Einzugstore unterteilt waren. In diesen Höfen standen lange Reihen von Alabasteraltären, auf denen die Vornehmen ihre Opfer darbrachten. Die einfacheren Leute mussten sich mit gemauerten Altären entlang der Außenmauer begnügen. Die Opfertiere wurden zuvor in einem eigenen Schlachthof vor dem Allerheiligsten getötet. Das Allerheiligste, der Ort, wo allein der Pharao und seine Familie Aton sein Opfer brachten, lag abgeschirmt durch eine Doppelmauer an der Ostseite des Tempels, dem Sonnenaufgang am nächsten. Weitere prächtige Tore mit geschmückten Pylonen zu beiden Seiten führten durch eine Säulenhalle mit den Statuen des Königspaars in den Hof mit dem Hochaltar, der wiederum von zahlreichen kleineren Altären umgeben war, wie die Sonne vom Kranz ihrer Strahlen. Aton war überall.
    Und doch nicht greifbar.
     
    Wie zahlreich sind deine Werke,
    die dem Angesicht verborgen sind,
    du einziger Gott, dessengleichen nicht ist!
    Du hast die Erde geschaffen nach deinem Wunsch ganz allein,
    mit Menschen, Vieh und allem Getier,
    mit allem, was auf der Erde ist.
    Ramosis passierte die verwaisten Kasernen der Palastwache und das große Staatsarchiv, in dem die Korrespondenz mit den asiatischen Fürsten aufbewahrt wurde. Dahinter wurde die Bebauung ärmlicher und ungeplanter. Niedrige Lehmhütten und vereinzelte Ziegelhäuser drängten und rieben sich aneinander, wucherten vom Nil herauf bis an die Berge. Der Gestank der Misthaufen und der Tiere in den Ställen wurde unerträglich.
    Als er auch diesen letzten Vorort hinter sich gelassen hatte und auf die Hügel im Norden zuhielt, lag sein Ziel plötzlich vor ihm, beleuchtet vom ersten Licht des Tages, das zögernd über die Berge kroch. Der Nordpalast.
    Jedes Mal schlug sein Herz schneller bei seinem Anblick, und das lag nicht nur an seiner geheimnisvollen Bewohnerin. Für Ramosis war der Nordpalast das Schönste, was Menschen je geschaffen hatten. Ein Wunder. Wenn es eine Vorstellung von Atons großem Weltenplan gab, die ein Mensch hätte begreifen können, dann kam der Nordpalast ihr am nächsten.
    Seine Ausmaße waren ebenso gewaltig wie die des Hauptpalastes. Eine breite Treppe führte vom Fluss hinauf zum Westtor, durch das man zwei hintereinanderliegende Innenhöfe betrat, die zum Thronsaal führten. Um die beiden Höfe herum lagen die üppig dekorierten und bemalten Gemächer und Wohntrakte. Dazu gehörten auch Gärten, Teiche und Tiergehege, in denen Steinböcke, Antilopen, Rinder und zahlreiche Vogelarten gehalten wurden. Mehr Pracht und göttliche Harmonie konnte sich Ramosis nicht vorstellen. Hier lebte Nofretete seit drei Jahren in ihrem selbst gewählten Exil.
    Die Wache am Tor ließ ihn ungehindert passieren. Nach kurzer Wartezeit begleitete ihn eine syrische Dienerin durch die beiden Höfe und führte ihn über eine seitliche Treppe hinauf aufs Dach des Palastes, direkt über dem Thronsaal. Zu seiner Überraschung sah Ramosis, dass Nofretete nicht allein war. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und blickte mit erhobenen Händen nach Osten, um Atons Erscheinen zu begrüßen. Und neben ihr, in der gleichen Haltung, stand – Echnaton. Ihr Gemahl, den sie aus rätselhaften Gründen verlassen oder der sie aus ebenso rätselhaften Gründen verstoßen hatte. Angeblich hatte sie einen Brief an den hethitischen König Suppiluliuma geschickt, in dem sie ihn bat, ihr einen seiner Söhne zu schicken, den sie nach dem Tode Echnatons heiraten könne, um das Reich wieder zu festigen. Suppiluliuma war dieser Aufforderung nur allzu gerne nachgekommen und hatte seinen Sohn Zannanza geschickt, der jedoch auf der Reise einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war.
    Ramosis glaubte nicht, dass der Brief von Nofretete stammte, dazu hielt er sie für viel zu klug. Er war überzeugt, dass Taduchipa, die Nebenfrau des Pharaos, eine mitannische Prinzessin, nachgewiesene Hure und Intrigantin, den Brief geschrieben hatte. Zumal sie bereits zum Harem von Echnatons Vater gehört und sich Chancen auf den Pharaonenthron ausgerechnet hatte. Kurz vor Nofretetes Rückzug in den Nordpalast, hatte man Taduchipa erschlagen im Palast aufgefunden.
    Ramosis fiel jetzt auf, dass Nofretete wie eine Braut gekleidet war. Sie trug ein enganliegendes weißes Kleid, das ihre rechte

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