Collector’s Pack
Oberst Bühler. Aber Ihr Wort, dass Sie uns verständigen, sobald Sie ihn haben.«
Drei Stunden später saß Urs Bühler in einem Learjet von Nakashima Industries, die Walther im Schulterholster und den Karton mit Leonies Albträumen auf dem Schoß, und fühlte sich so frei wie lange nicht mehr. Leonie hatte geweint, als er ihr erklärt hatte, dass er für eine Weile wegmüsse. Aber als er ihr versprochen hatte, dass er den Löwenmann finden und ihn so verdreschen würde, dass er sie nie, nie wieder in ihren Träumen verfolgen könne, hatte sie gelacht und begeistert in die Hände geklatscht. Dr. Tanaka hatte ihm zugesagt, dass man Leonie rund um die Uhr bewachen werde. Was auch bedeuten konnte, dass sie nun erneut zur Geisel wurde. Bühler wusste nicht, warum er der Japanerin traute. Es war reine Intuition.
Ebenso wie die Idee, dass ihn Leonies Bilder zu Peter Adam führen könnten.
Als der Jet den Alpensüdkamm überflog, durchsuchte Bühler die Zeichnungen, bis er das entsprechende Blatt fand. Leonie hatte es eine Woche zuvor nach einer besonders schlimmen Nacht gemalt. Die krakelige Zeichnung zeigte einen Mann mit gelben Haaren inmitten von Feuer und Leichen. Der Löwenmann stand über ihm und bedrohte ihn mit einer Waffe.
»Wer ist das?«, hatte Bühler gefragt und auf die Gestalt mit den gelben Haaren gezeigt.
»Peterli!«, hatte Leonie ohne Zögern geantwortet. Was das Bild jedoch zur Spur machte, waren zwei Details. Das erste war die ungewöhnlich deutliche Darstellung einer Art Theke im Hintergrund mit Flaschen und einem kleinen Berg hellbrauner, ovaler Gebilde.
»Und was ist das?«
»Supplì«, hatte Leonie fehlerfrei geantwortet, trotz ihres holprigen Italienischs. Die frittierten Reiskroketten, gefüllt mit Mozzarella, Fleischragout und Gemüse, waren eine römische Spezialität und wurden als Imbiss in vielen Snackbars verkauft. Also Rom. Eine Bar in Rom.
Das zweite Detail, das Bühlers Aufmerksamkeit erregt hatte, war ein Gesicht am oberen rechten Bildrand, das das Massaker dort scheinbar teilnahmslos beobachtete. Ein strenges männliches Gesicht mit wilden schwarzen Haaren.
»Und wer ist das?«
»Na, Beethoven, Ursli!«, hatte Leonie geantwortet, als sei nichts offensichtlicher.
Rom. Snackbar. Beethoven. Bühler hatte nicht lange im Internet recherchieren müssen, bis er auf die Beethoven Bar in der Viale Beethoven gestoßen war. Er hegte plötzlich keinerlei Zweifel mehr daran, dass er Peter Adam dort finden würde. Denn wenn Gott seine wundervolle kleine Schwester mit dem Schicksal dieses Gendefekts geschlagen hatte, mit Entführung, Angst und Albträumen, dann hatte er dafür auch einen Grund, und wenn alles seinen Grund hatte, dann musste dieses Bild einfach einen Sinn ergeben. Musste. Bühler fragte sich nur, ob er noch rechtzeitig eintreffen würde, denn ihren großen Bruder hatte Leonie nicht mit ins Bild gemalt.
Es war bereits nach Mittag, als das Taxi ihn nach Torrino zu der winzigen Bar Beethoven brachte, die um diese Zeit nur wenige Gäste hatte. Die meisten kalten Gerichte in der Auslage waren schon ausverkauft. Es roch nach Putzmitteln, aber der Boden des kleinen Gastraums war mit Papierservietten und Krümeln bedeckt. Bühler unterdrückte seinen aufkeimenden Groll gegen die Italiener, bestellte Caffè und ein Panino mit Mozzarella und wartete, zuversichtlich, dass er Peter Adam hier bald treffen würde.
Er hatte sein Sandwich erst halb aufgegessen, als er die Schüsse hörte. Bühler wusste sofort Bescheid. Die beiden Frauen in der Ecke richteten sich erschrocken auf. Von der Straße hörte Bühler Schreie und verstand, dass er am falschen Ort gewartet hatte. Oder am richtigen.
Ohne nachzudenken stürmte Bühler aus der Bar. Er orientierte sich kurz und hörte, dass die Schüsse von der Ecke zur Viale Europa kamen. Autos hielten an. Menschen rannten an ihm vorbei und schrien um Hilfe. Bühler zog seine Waffe. Als er sich der Straßenecke näherte, sah er, dass die Scheiben einer Bar um die Ecke zerplatzt waren. Glassplitter lagen überall auf dem Gehweg, und drinnen schoss ein Mann auf sämtliche Gäste. Alles wie auf Leonies Bild, nur Peter Adam war nicht darunter. Der Mann mit den roten Haaren wandte ihm den Rücken zu, wirkte völlig ruhig und konzentriert auf sein mörderisches Tun. Als er die letzten beiden Männer getötet hatte, ging er seelenruhig um die Theke herum und richtete die Waffe nach unten.
»Es wäre klüger gewesen, wenn Sie auf der Île de Cuivre
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