Collins, Suzanne
Kampfgebiet aussetzen ...«
»Genau das ist mein Vorschlag«, unterbricht Haymitch sie.
»Stellt sie aufs Schlachtfeld und haltet mit der Kamera drauf.«
»Aber die Leute denken doch, sie wäre schwanger«, wirft
Gale ein.
»Wir streuen einfach das Gerücht, sie hätte das Baby durch
den Stromschlag in der Arena verloren«, entgegnet Plutarch. »Ein tragisches
Unglück. Zu traurig.«
Die Idee, mich ins Schlachtgetümmel zu schicken, löst eine
heftige Diskussion aus. Doch Haymitchs Vorschlag ist bestechend. Wenn ich nur
unter echten Bedingungen gut bin, dann sollte ich mich genau dahinein begeben.
»Jedes Mal, wenn wir sie coachen oder ihr Texte vorgeben, können wir allenfalls
hoffen, dass es ganz okay wird. Es muss aus ihr selbst herauskommen, darauf
springen die Leute an.«
»Egal, wie vorsichtig wir sind, wir können für ihre Sicherheit
nicht garantieren«, wendet Boggs ein. »Sie wird eine Zielscheibe für jeden
...«
»Ich mache es«, unterbreche ich ihn. »Hier bin ich den Rebellen
keine Hilfe.«
»Und wenn du getötet wirst?«, fragt Coin.
»Seht zu, dass ihr es auf Film kriegt. Dann könnt ihr ja
das benutzen«, entgegne ich.
»Schön«, sagt Coin. »Aber eins nach dem anderen. Wir
versuchen die am wenigsten gefährliche Situation zu finden, die spontan etwas
in dir auslöst.« Sie tritt vor die erleuchteten Landkarten der Distrikte, die
die Truppenbewegungen in diesem Krieg zeigen, und studiert sie. »Heute
Nachmittag setzen wir sie in Distrikt 8 ab. Am Morgen hat es dort schwere
Bombardements gegeben, aber die Angriffe scheinen vorbei zu sein. Sie geht
bewaffnet und mit einem Trupp Leibwächter als Begleitung, Kamerateam am Boden.
Haymitch, du bleibst im Hovercraft und hältst von dort den Kontakt. Schauen wir
mal, wie's läuft. Irgendwelche Anmerkungen?«
»Sie soll sich das Gesicht waschen«, sagt Dalton. Alle
drehen sich zu ihm herum. »Ihr lasst sie wie fünfunddreißig aussehen, dabei ist
sie doch noch ein Mädchen. Das fühlt sich verkehrt an. So was würde das Kapitol
tun.«
Als Coin die Sitzung aufhebt, bittet Haymitch darum, unter
vier Augen mit mir reden zu dürfen. Alle verlassen den Raum, bis auf Gale, der
unschlüssig an meiner Seite bleibt. »Worüber machst du dir Sorgen?«, fragt
Haymitch ihn. »Wenn hier einer einen Leibwächter braucht, dann ich.«
»Ist schon okay«, sage ich zu Gale, und da geht auch er.
Jetzt hört man nur noch das Summen der Instrumente, das Schnurren der
Belüftung.
Haymitch setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber. »Sieht so
aus, als müssten wir wieder zusammenarbeiten. Also los. Spuck's aus.«
Ich denke an unseren handgreiflichen Meinungsaustausch
neulich im Hovercraft. An die Verbitterung, die folgte. Aber ich sage nur: »Ich
verstehe nicht, warum du Peeta nicht gerettet hast.«
»Ich weiß«, erwidert er.
Damit ist aber noch nicht alles gesagt. Und ich meine
nicht die fehlende Entschuldigung. Wir waren ein Team. Wir hatten die
Abmachung, Peeta zu retten. Eine alkoholgeschwängerte, unrealistische
Abmachung, getroffen in finsterer Nacht, aber eine Abmachung. Und tief in mir
spüre ich, dass wir beide versagt haben.
»Jetzt du«, fordere ich ihn auf.
»Ich verstehe nicht, wieso du ihn in der Nacht aus den
Augen gelassen hast«, sagt Haymitch.
Ich nicke. Darum geht's. »Immer wieder gehe ich es durch.
Was ich hätte tun können, damit wir zusammenbleiben und trotzdem nicht das
Bündnis aufkündigen müssen. Aber mir fällt nichts ein.«
»Du hattest keine Wahl. Und selbst wenn ich in dieser Nacht
Plutarch dazu hätte bewegen können, dazubleiben und Peeta zu retten, hätte es
den Verlust des ganzen Hovercrafts bedeutet. Wir sind sowieso nur mit knapper
Not da rausgekommen.« Endlich sehe ich Haymitch in die Augen. Augen des Saums.
Grau und tiefliegend und mit den Ringen schlafloser Nächte. »Er ist noch nicht
tot, Katniss.«
»Das Spiel geht weiter.« Ich versuche, optimistisch zu
klingen, doch meine Stimme versagt.
»Das Spiel geht weiter. Und ich bin immer noch dein Mentor.«
Haymitch deutet mit seinem Filzstift auf mich. »Wenn du nachher da unten bist,
denk dran, ich bin über dir. Ich habe den besseren Überblick, also tu, was ich
dir sage.«
»Mal sehen«, gebe ich zurück.
Ich gehe wieder in den Ankleideraum, rubbele mir das Make-up
vom Gesicht und schaue zu, wie die farbigen Schlieren im Abfluss verschwinden.
Die Frau im Spiegel sieht fertig aus, mit unebener Haut und müden Augen, aber
immerhin sieht sie aus wie ich. Ich reiße
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