Colombian Powder
entzündete die schlanken Kerzen und entkorkte eine Flasche des obligatorischen Rioja, den Nina hoffnungsvoll bestellt hatte.
Das Management war sichtlich bemüht, Ninas Unfall im Pool zu kompensieren, denn das Menü war köstlich. Marco und sie waren so ins Gespräch vertieft, dass Nina nicht auffiel, wie dunkel es inzwischen geworden war. Erst als die Dessertteller abgeräumt und Espressotassen kredenzt wurden, nahm sie ihre Umgebung wieder wahr.
Auf die Frage des Kellners nach weiteren Getränkewünschen kam Marco ihr zuvor und schüttelte den Kopf.
»Komm.« Er zog Nina von ihrem Stuhl hoch und schob sie sanft vor sich her bis zur Spitze des Schiffsbugs. Vor ihnen breitete sich die Nacht aus, und es war nicht zu erkennen, wo Himmel und Meer zusammenflossen. Der Wind brachte herben Salzgeruch mit sich, und weit unter sich hörten sie die Bugwelle rauschen.
Eine Weile standen sie nur da und genossen den Augenblick.
»Warum bist du gegangen?« Es fiel ihr leichter die Frage zu stellen, wenn sie ihn dabei nicht ansah. Sein tiefer Atemzug verriet ihr, dass er sofort wusste, was sie meinte. Trotzdem dauerte es lange, bis er antwortete.
»Weil ich ein Feigling bin.«
»Ein Feigling?«
»Ich habe dich schon wieder verletzt.«
Er drehte sie zu sich herum und sah ihr angestrengt in die Augen.
Nina erwiderte seinen Blick. »Keine Frau wacht nach der ersten Liebesnacht ihres Lebens gerne allein auf.«
Wieder atmete er tief durch, und seine Miene verriet, dass er sich quälte.
»Ich bin nicht gut für dich, Nina Kaiser. Es ist besser, wenn …«
»Doch!«, unterbrach sie ihn. »Du bist gut für mich! Du ahnst gar nicht, wie glücklich du mich machst«, fügte sie mit erstickter Stimme hinzu, selbst erschrocken über die Wahrheit, die ihr so plötzlich über die Lippen rollte.
»Lieber Himmel, weißt du, was du da sagst?«, flüsterte er und strich ihr zärtlich über die Wange. Statt einer Antwort stellte sie sich auf die Zehenspitzen und suchte seine Lippen.
Es waren noch so viele Fragen zu stellen, doch in Marcos Umarmung wurde alles andere auf einmal unwichtig. Sie wollte gar nicht mehr wissen, warum er an dem Abend im Whirlpool so seltsam reagiert hatte, warum er ihr zwei Tage lang offensichtlich aus dem Weg gegangen war. Konnte man so küssen wie er und es nicht ehrlich meinen?
Lange blieben sie eng umschlungen am Bug stehen, bis Nina in ihrer dünnen Tunika zu frösteln begann.
»Haben Sie noch einen Wunsch?«, wollte der Kellner wissen, der sich diskret im Hintergrund gehalten hatte.
»Bringen Sie uns bitte eine Flasche Champagner«, sagte Marco.
»In die Kabine 418«, ergänzte Nina mit glänzenden Augen.
Paradies
Das Wort Zeitschleife stand ihr vor Augen, als Nina wach wurde. Die Sonne schien, in der Kabine war es so still wie in einem Schwurgerichtssaal vor der Urteilsverkündung, und der Platz neben ihr war leer. Alles war so wie gestern früh. Sie konnte das Entsetzen des Phil Connor in Punxsutawney nachvollziehen, der das Morgen für Morgen erlebte.
Da entdeckte sie den Bogen Briefpapier neben dem Kopfkissen.
Um zehn an der Pier! , stand in Marcos geschwungener Schrift darauf.
Sie sah auf ihren Wecker. Es war noch über eine Stunde Zeit. Seufzend ließ sich Nina wieder in die Kissen zurücksinken und blickte sich in der Kabine um. Ihre Kleider lagen noch immer dort, wo Marco sie ihr gestern Abend ausgezogen hatte. Auf dem Nachttisch standen die leere Champagnerflasche und ihre beiden Gläser. Das von Marco war unbenutzt, denn er hatte es vorgezogen, den Champagner von Ninas nackter Haut zu lecken. Die Erinnerung daran war köstlich, und sie konnte noch immer die feurigen Linien spüren, die Marcos Lippen auf ihrem Körper gezogen hatten.
Die Diamond Dolphin war früh in Puerto Rico angekommen, und der größte Pulk der Passagiere hatte sich zerstreut, als Nina die Gangway betrat. Vor ihr lag das Hafenviertel von San Juan. Die Gegend war nicht aufregend, dennoch wäre sie am liebsten stehen geblieben und hätte den Anblick, der sich ihr bot, noch länger genossen. Lässig an das Geländer der Pier gelehnt stand der Mann, der ihr Herz seit Tagen Kapriolen schlagen ließ. Marco trug ein gestreiftes Polohemd und weiße Shorts, die seine langen, gebräunten Beine noch mehr betonten. Er sah zu ihr hinauf, die Blicke ignorierend, die ihm andere weibliche Passagiere zuwarfen. Auf einmal spürte Nina eine unbändige Lebenslust. Sie fühlte sich leicht und beschwingt wie lange nicht mehr, und
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