Colorado Saga
wollen«, antwortete sie. »Doch was wir nun sehen werden, ist das Kernstück Ihrer Story.« Nach Osten ging es, über so dürres Land, wie ich es nie zuvor gesehen hatte, kahl und trostlos, bis sie auf einer Erhebung anhielt. »So haben sie damals alles vorgefunden. Eine endlose Leere. Seit Millionen von Jahren hat sich hier nichts verändert.«
In keiner Himmelsrichtung entdeckte ich irgendein Zeichen dafür, daß der Mensch jemals versucht hatte, diese ungeheure Weite zu besiedeln - kein Haus, keinen Pfad, nicht einmal einen Zaunpfahl. Alles war leer - leer und majestätisch: die große westliche Prärie.
Miß Endermann unterbrach meine Gedanken mit einer Zusicherung: »Wenn wir den Gipfel des nächsten Hügels erreichen, werden Sie etwas Unvergeßliches sehen.«
Sie hatte recht. Nachdem wir durch die trostlose Wüste ein Stück bergauf gefahren waren, kamen wir zu einer Bodenerhebung, von der aus man tatsächlich einen faszinierenden Ausblick hatte. Es war ein Dorf namens Line Camp, wie sie mir sagte, das früher einmal eine blühende Siedlung gewesen sein mußte; jetzt lag es menschenleer da, die Fensterläden im Winde klappernd, die Glasscheiben der Fenster geborsten.
Langsam, wie in einem Trauerzug, fuhren wir durch die Straßen, links und rechts ausgeschachtete Fundamente dort, wo Geschäfte und eine Kirche gestanden hatten. Nichts als Zerstörung: graue
Holzplanken, die sich gelöst hatten, in der Schule Pulte, die aus ihren Befestigungen gerissen waren. Irgendwie mußte es mir gelingen, den klappernden Planken ihre Geschichte zu entlocken. Jetzt kamen nur Falken nach Line Camp, und die Geschichten waren alle vergessen.
Zwei Gebäude hatten dem Zahn der Zeit getrotzt: eine stabile Scheune aus Stein und ihr gegenüber ein niedriges Steinhaus, an dessen Tür ein uralter Mann erschien und uns mißtrauisch musterte. »Der einzige Überlebende«, sagte Miß Endermann. Der Mann verschwand wieder.
»Was ist hier passiert?« erkundigte ich mich.
»Das wollen wir von Ihnen wissen«, gab sie zurück.
Sie mußte gemerkt haben, daß ich von Centennial und seiner Umgebung fasziniert war, denn schon beim Lunch begannen wir meinen Auftrag genauer festzulegen. Im Laufe des Gesprächs fragte ich sie: »Übrigens, wer hat die Story eigentlich geschrieben, die ich mit meinen Recherchen erhärten soll?«
»Das wissen Sie nicht?«
»Wie Sie sehen.«
»Ich.«
»Sie?«
»Ja. Ich habe die Story fünf Monate lang an Ort und Stelle recherchiert.«
»Ich wußte...« Ich war verwirrt. »Ich habe natürlich gemerkt, daß Sie den Leuten hier bekannt sind. Aber ich dachte, Sie wären... «
»Ich hätte nur jemandem geholfen? Jemandem, der qualifizierter ist als ich?«
Sie stellte diese Frage in so scharfem Ton, daß ich es für besser hielt, direkt zur Sache zu kommen. »Miß Endermann«, begann ich, »bitte, verzeihen Sie, aber Ihre Zeitschrift hat mich gebeten, eine Menge Zeit auf dieses Projekt zu verwenden. Haben Sie was dagegen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle?«
Sie fing an zu lachen und verblüffte mich wieder, indem sie aufstand und mir einen Kuß auf die Wange drückte. »Sie sind zauberhaft!« sagte sie. »Ich habe meine Doktorarbeit an der Columbia University unter Allan Nevins über ein paar unveröffentlichte Briefe von Captain Mercy gemacht, die ich gefunden hatte. Zu Hause, an der Wand meines Schlafzimmers, hängt ein altes Foto von ihm, aufgenommen von Jackson in Fort Laramie, und zu Ihrer ganz persönlichen Information: In Illinois habe ich fast nur Einser bekommen und meine Doktorprüfung an der Universität von Chicago mit Auszeichnung bestanden.«
»Ja, aber, zum Teufel, was treiben Sie sich dann bis vier Uhr morgens mit Cisco Calendar herum?«
»Weil ich ihn aufregend finde, Sie Puritaner!«
Am nächsten Vormittag fuhr ich sie nach Denver, wo sie die Maschine nach New York bestieg. An der Rampe sagte sie zu mir: »Bleiben Sie noch bis zum Wochenende. Sie werden sich genauso in die Stadt verlieben wie ich.« Und als ich ihr viel Erfolg bei der Arbeit wünschte, antwortete sie: »Ich beschäftige mich jetzt mit den Landkarten.« Dann ergriff sie impulsiv meine Hände. »Mr. Vernon, wir brauchen Sie wirklich... damit das Ganze Leben bekommt. Rufen Sie uns Freitagabend an. Aber sagen Sie uns dann bitte, daß Sie mitmachen.«
Auf dem Rückweg fuhr ich bei der Universität vorbei, weil ich meinen alten Freund, Gerald Lambrook vom dortigen historischen Institut, konsultieren wollte. Er
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